Die Muschelsucher
eigene Kantine, ihre eigenen Freizeiteinrichtungen.«
»Wie kommen Sie mit ihnen zurecht?«
»Alles in allem sehr gut. Sie sind ein bißchen wild. vielleicht nicht so diszipliniert wie unsere eigenen Truppen, aber alles sehr mutige Burschen.«
»Und Sie leiten die Operation?«
»Nein. Der kommandierende Offizier ist Colonel Mellaby. Ich bin nur der Ausbilder.«
»Arbeiten Sie gern mit ihnen?«
Richard Lomax zuckte mit den Schultern. »Es ist zweifellos etwas anderes.«
»Und Porthkerris. Sind Sie früher schon einmal hier gewesen?«
»Nein, noch nie. Ich habe meinen Urlaub meist oben im Norden verbracht, in den Bergen. Aber ich habe schon oft von Porthkerris gehört, wegen der Maler, die hierher kamen. Ich hatte in den Museen, in die meine Mutter mich mitnahm, Bilder vom Hafen gesehen, und es ist kaum zu glauben, aber ich habe ihn auf den ersten Blick wiedererkannt. Er ist genau wie auf den Bildern, unverändert. Und das Licht. Das gleißende Licht, das vom Meer bewirkt wird. Ich hielt es nicht für möglich, bis ich es jetzt selbst gesehen habe.«
»Ja. Es besitzt einen Zauber. Man gewöhnt sich nie daran, solange man auch hier lebt. Es ist immer wieder neu und faszinierend.«
»Sind Sie schon lange hier?«
»Seit den frühen zwanziger Jahren. Ich bin mit meiner Frau hergekommen, kurz nachdem wir geheiratet hatten. Wir hatten damals noch kein Haus und kampierten einfach in meinem Atelier. Wie die Zigeuner.«
»Das Bild im Wohnzimmer über dem Kamin. Ist es ein Porträt Ihrer Frau?«
»Ja. Das war Sophie. Sie muß ungefähr neunzehn gewesen sein, als es gemalt wurde. Es ist von Charles Rainier. Wir hatten damals im Frühling zusammen ein Haus bei Varengeville gemietet. Es sollte ein Urlaub sein, aber er wurde unruhig, wenn er nicht arbeitete, und Sophie erklärte sich bereit, ihm zu sitzen. Er brauchte nicht einmal einen Tag dafür, aber es ist eines der besten Bilder, die er je gemalt hat. Aber er hatte sie natürlich von klein auf gekannt, genau wie ich. Seit sie ein ganz kleines Kind war. Wenn man seinem Modell so nahe steht, kann man schnell arbeiten.«
Das schwindende Licht tauchte das Eßzimmer in Schatten. Nur die Kerzen sorgten für Beleuchtung, und die letzten Strahlen der untergehenden Sonne trafen das Kristall, das Silber und die polierte Platte des runden Mahagonitisches und vertieften ihren Glanz. Die dunkle Tapete hüllte den Raum ein wie das Futter einer Schmuckschatulle, und hinter den schweren und verblichenen, von troddelbesetzten Seidenschnüren gehaltenen Samtvorhängen bauschten sich die zarten Spitzengardinen in dem Luftzug, der durch das offene Fenster drang.
Es war spät. Bald würden sie das Fenster schließen und die Verdunkelungsvorhänge zuziehen müssen. Das Essen war vorbei. Sie hatten sich die Suppe, die gegrillten Makrelen, die köstlichen Pfirsiche schmecken lassen, und Penelope hatte das Geschirr abgeräumt und dann eine Schüssel mit Cox-Orange-Äpfeln, die beim Sturm von dem Baum am oberen Ende der Obstwiese gefallen waren, von der Anrichte geholt und auf den Tisch gestellt. Richard Lomax hatte einen genommen und schälte ihn mit einem Obstmesser mit Perlmuttgriff. Seine Hände waren lang, die Fingerkuppen kantig. Sie beobachtete, wie er geschickt mit dem Messer hantierte und wie die Schale in einer ununterbrochenen Spirale auf den Teller fiel. Er schnitt den Apfel in Viertel und entfernte das Kerngehäuse. »Haben Sie das Atelier noch?«
»Ja, aber es ist zugesperrt. Ich gehe nur noch selten hin. Ich kann nicht mehr arbeiten, und der Weg ist zu weit für mich.«
»Ich würde es gern sehen.«
»Wann Sie wollen. Der Schlüssel ist hier.« Er lächelte seiner Tochter über den Tisch hinweg zu. »Penelope wird Sie hinbringen.« Richard Lomax teilte die Apfelviertel in Schnitze. »Charles Rainier. lebt er noch?«
»Soviel ich weiß, ja. Vorausgesetzt, er hat den Mund nicht zu weit aufgemacht und ist von der Gestapo umgebracht worden. Hoffentlich nicht. Er wohnt in Südfrankreich. Wenn er sich zurückhält, müßte er eigentlich überleben.«
Sie dachte an das Haus der Rainiers, an das Dach, auf dem sich Bougainvilleen rankten, die rötlichen Felsen, die sich zum enzianblauen Meer hinuntersenkten, den zartgelben Flaum der Mimosen. Sie dachte an Sophie, die von der Terrasse herunterrief, sie solle aus dem Wasser kommen, das Essen sei fertig. Angesichts dieser paradiesischen Bilder fiel es ihr schwer, sich wieder bewußt zu werden, daß Sophie tot war. Sie war heute
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