Die Muschelsucher
werden.«
»Das hoffe ich.«
»Ihr Geld wird nicht ewig reichen.«
Olivias Augen funkelten belustigt. »Habt ihr beide vielleicht Angst, daß ihr eines Tages eine alte mittellose Frau am Hals habt? Noch eine finanzielle Belastung, wenn ihr den Unterhalt für euren alten Kasten bezahlen müßt und eure Kinder auf die teuersten Schulen schickt?«
»Wofür wir unser Geld ausgeben, geht dich nichts an.«
»Und wofür Mama es ausgibt, geht euch nichts an.« Diese Antwort brachte Nancy fürs erste zum Schweigen. Sie wandte sich ab und konzentrierte ihre Aufmerksamkeit auf das Kalbsschnitzel. Olivia, die sie beobachtete, sah die Röte, die ihrer Schwester in die Wangen stieg, das leichte Beben um ihren Mund und ihren Kiefer. Um Gottes willen, dachte sie, sie ist erst dreiundvierzig, und sie sieht aus wie eine übergewichtige, vom Leben enttäuschte alte Frau. Sie war plötzlich voll Mitleid und kam sich schuldig vor, und unwillkürlich sagte sie mit einer freundlicheren, ermutigenden Stimme: »Ich würde mir an deiner Stelle nicht so viele Sorgen machen. Sie hat einen fabelhaften Preis für das Haus in der Oakley Street bekommen, und auch nachdem sie Podmore’s Thatch bezahlt hat, ist noch eine ganze Menge übrig. Ich glaube nicht, daß der alte Lawrence Stern sich darüber im klaren war, aber er hat trotz allem dafür gesorgt, daß sie sehr gut bis an ihr Ende kommen wird. Was auch für dich und mich und Noel gut ist, denn Vater war, ehrlich gesagt, ein Versager, wenigstens in finanzieller Hinsicht.«
Nancy wurde sich plötzlich bewußt, daß sie am Ende ihrer Kraft angelangt war. Die Auseinandersetzung hatte sie erschöpft, und sie konnte es nicht ausstehen, daß Olivia so von ihrem geliebten Daddy sprach. Normalerweise hätte sie den lieben Toten verteidigt, aber jetzt hatte sie einfach nicht mehr die Energie dazu. Die Verabredung mit Olivia war Zeitverschwendung gewesen. Sie waren zu keiner Entscheidung gekommen - weder über Mutter noch über Geld noch über eine Haushälterin, über gar nichts. Olivia hatte wie immer um den Brei herumgeredet und lauter Scheinargumente vorgebracht, und nun hatte sie das Gefühl, eine Dampfwalze sei über sie hinweggerollt. Lawrence Stern.
Sie hatte das köstliche Gericht aufgegessen. Olivia blickte auf die Uhr und fragte Nancy, ob sie eine Tasse Kaffee trinken wolle. Nancy fragte, ob sie noch genug Zeit habe, und Olivia bejahte, sie habe noch fünf Minuten, so daß Nancy für Kaffee votierte, und während Olivia dem Kellner zunickte und bestellte, zwang Nancy sich, nicht mehr an die wunderbaren Nachspeisen zu denken, die sie auf dem Dessertwagen erspäht hatte, und langte zu der Harper’s Queen, die sie für die Eisenbahnfahrt gekauft hatte und die nun neben ihr auf der samtbezogenen Polsterbank lag. »Hast du das gesehen?«
Sie blätterte in der Illustrierten, bis sie die Doppelseite mit der Boothby’s-Annonce fand, und hielt sie ihrer Schwester hin. Olivia warf einen Blick darauf und nickte. »Ja. Das Bild wird nächsten Mittwoch versteigert.«
»Ist es nicht unglaublich?« Nancy legte das Magazin wieder hin. »Wer hätte gedacht, daß jemand so etwas Scheußliches kaufen will?«
»Nancy, ich kann dir versichern, daß sehr viele Leute etwas so Scheußliches kaufen möchten.«
»Soll das ein Witz sein?«
»Aber nein.« Olivia sah das konsternierte Gesicht ihrer Schwester und mußte lachen. »O Nancy, wo habt ihr beide bloß die letzten Jahre gelebt? Viktorianische Malerei hat einen großen Boom. Lawrence Stern, Alma-Tadema, John William Waterhouse und all die anderen erzielen heute Riesensummen bei den Kunstauktionen.« Nancy betrachtete die deprimierenden Wasserträgerinnen und bemühte sich, sie mit anderen Augen zu sehen, aber es nützte nichts. »Aber warum?« beharrte sie.
Olivia zuckte mit den Schultern. »Vielleicht, weil man ihre Technik oder ihre Sujets auf einmal wieder zu schätzen weiß. Oder wegen des Seltenheitswerts.«
»Du hast gesagt, Riesensummen - was meinst du damit?
Ich meine, wieviel wird dieses Bild bringen?«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Schätz mal.«
»Hm.« Olivia schürzte die Lippen und schaute nach unten. »Vielleicht zweihunderttausend.«
»Zweihunderttausend? Dafür?«
»Etwas mehr oder etwas weniger.«
»Aber warum?« Nancy jammerte fast.
»Ich hab’s dir doch gesagt. Seltenheitswert, das heißt, es sind kaum noch Bilder von ihm auf dem Markt, jedenfalls nicht genug, um die Nachfrage zu befriedigen. Wenn niemand da ist, der
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