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Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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anderen Tischen ab. Richard schenkte den Wein ein und hob sein Glas. »Auf Ihr Wohl.«
    »Santé.«
    Der Wein war kühl, leicht und angenehm erdig. Er schmeckte nach Frankreich und nach vergangenen Sommern, nach einer anderen Zeit. Penelope stellte ihr Glas hin. »Papa würde jetzt anerkennend nicken.«
    »Erzählen Sie weiter.«
    »Was denn? Über Tante Ethel und ihre Ziegen?«
    »Nein, über sich.«
    »Das ist langweilig.«
    »Finde ich nicht. Erzählen Sie von Ihrer Zeit beim Marinehilfskorps.«
    »Das ist das letzte, worüber ich reden möchte.«
    »Hat es Ihnen keinen Spaß gemacht?«
    »Keinen Augenblick. Ich habe es gehaßt.«
    »Warum haben Sie sich dann verpflichtet?«
    »Oh, aus einem törichten Impuls heraus. Wir waren in London, und. und dann ist etwas passiert.« Er wartete. »Was ist passiert?«
    Sie sah ihn an. Sie sagte: »Sie werden mich für eine dumme Gans halten.«
    »Ich glaube nicht.«
    »Es ist eine lange Geschichte.«
    »Wir haben Zeit.«
    Also holte sie tief Luft und fing an, es ihm zu erzählen. Sie begann mit Peter und Elizabeth Clifford und berichtete bis zu jenem Abend, an dem sie und Sophie zum Kaffee in ihre Wohnung hinaufgegangen waren und die Friedmanns kennengelernt hatten. »Die Friedmanns waren sehr jung. Sie hatten in München gelebt und waren vor den Nazis geflohen. Sie waren Juden.« Richard sah sie an und hörte aufmerksam zu. Es wurde ihr bewußt, daß sie Dinge sagte, die sie Ambrose aus irgendeinem Grund nie hatte erzählen können. »Und Willi Friedmann fing an, darüber zu reden, was mit den Juden in Deutschland geschah. Was Leute wie die Cliffords der Welt seit Jahren zu sagen versuchten, ohne daß jemand zuhören wollte. Für mich machte es den Krieg auf einmal zu etwas, was mich persönlich anging. Er war schon immer furchtbar und beängstigend, aber nun betraf es mich persönlich. Also ging ich am nächsten Morgen ins erstbeste Rekrutierungsbüro, das ich fand, und verpflichtete mich für das Frauen-Marinehilfskorps. Das ist das Ende der Geschichte. Ich habe mich wohl ziemlich kindisch benommen.«
    »Das finde ich überhaupt nicht.«
    »Vielleicht wäre es nicht kindisch gewesen, wenn ich es nicht fast sofort danach bereut hätte. Ich hatte Heimweh, ich fand keine Freunde, und ich haßte es, mit lauter Fremden zusammen zu wohnen.«
    Richard hatte Verständnis. »Sie sind nicht die einzige, die dieses Gefühl hatte. Wohin hat man Sie geschickt?«
    »Auf die Wal-Insel. Zur Königlichen Marine-Artillerieschule.«
    »Haben Sie Ihren Mann dort kennengelernt?«
    »Ja.« Sie blickte auf das Tischtuch, nahm ihre Gabel und zeichnete mit den Zinken ein Zickzackmuster auf die rotweißen Karos. »Er war Oberleutnant und absolvierte gerade seine Lehrgänge.«
    »Wie heißt er?«
    »Ambrose Keeling. Warum fragen Sie?«
    »Ich dachte, es wäre möglich, daß ich ihm mal irgendwo begegnet bin, aber ich kenne ihn nicht.«
    »Ich glaube nicht, daß Sie ihm je begegnen werden«, bemerkte sie kühl. »Er ist viel jünger als Sie. Oh, sehr gut.« Ihre Stimme hob sich erleichtert. »Da kommt Grace mit der Suppe.« Sie fügte rasch hinzu: »Ich habe eben erst gemerkt, welchen Hunger ich habe«, denn Richard sollte denken, daß ihre Erleichterung der Suppe galt, und nicht der Tatsache, daß sie nun einen guten Grund hatte, nicht weiter über Ambrose zu sprechen.
    Als sie endlich den Heimweg durch die dunklen Gassen antraten und den Hügel hinaufstiegen, war es elf Uhr. Es war sehr viel kälter geworden, Penelope zog Sophies Stola enger um sich und war dankbar für ihre duftende Wärme. Hoch oben trieben große Wolken über den sternenbesetzten Himmel, und als sie die schmalen Straßen der Altstadt hinter sich ließen und den Hügel hinaufstiegen, machte sich der frische, zeitweise recht böige Wind vom Atlantik bemerkbar.
    Endlich erreichten sie Grabneys Autowerkstatt und die letzte Steigung. Penelope blieb stehen, strich sich das Haar aus dem Gesicht und zog die Stola noch enger um ihre Schultern. Er sagte: »Es tut mir leid.«
    »Was?«
    »Dieser lange Marsch. Ich hätte ein Taxi kommen lassen sollen.«
    »Ich bin nicht müde. Ich bin es gewohnt. Ich gehe diesen Weg zwei-oder dreimal in der Woche.«
    Er nahm ihren Arm, verschränkte seine Finger in den ihren, und sie gingen weiter. Er sagte: »Ich werde die nächsten Tage ziemlich beschäftigt sein, aber wenn sich eine Gelegenheit bietet, kann ich vielleicht vorbeikommen und Sie alle besuchen. Wieder eine Partie Backgammon

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