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Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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spielen.«
    »Wann immer Sie wollen«, antwortete sie. »Kommen Sie einfach vorbei. Papa würde Sie gern wiedersehen. Und irgend etwas kommt immer auf den Tisch, selbst wenn es nur eine Suppe und Brot ist.«
    »Das ist sehr freundlich.«
    »Überhaupt nicht. Sie sind derjenige, der freundlich ist. Ich habe seit Jahren keinen so schönen Abend mehr erlebt. Ich hatte ganz vergessen, wie es ist, wenn man zum Essen ausgeführt wird.«
    »Und ich hatte nach vier Jahren beim Militär vergessen, wie es in der Welt außerhalb der Offiziersmesse zugeht, wo man mit lauter Männern zusammensitzt und immer nur über die Truppe redet. Wir tun uns also gegenseitig einen Gefallen.«
    Sie kamen zu der Mauer, zu der hohen Pforte. Sie blieb stehen und wandte sich ihm zu. »Möchten Sie auf eine Tasse Kaffee oder einen Drink mit hereinkommen?«
    »Nein. Ich werde zurückgehen. Ich muß morgen früh raus.«
    »Wie ich schon sagte, Richard, Sie können jederzeit vorbeikommen.«
    »Das werde ich tun«, sagte er. Er legte ihr die Hände auf die Schultern und beugte sich nach unten, um sie auf die Wange zu küssen. »Gute Nacht.«
    Sie ging durch die Pforte und durch den Garten in das schlafende Haus. In ihrem Schlafzimmer blieb sie vor der Frisierkommode stehen und starrte auf das dunkeläugige Mädchen, das sie aus dem hohen Spiegel anblickte. Sie löste den Knoten der Stola und ließ sie zu Boden fallen. Langsam, einen Knopf nach dem anderen, öffnete sie das neue rote Kleid mit dem Gänseblümchenmuster, aber nach dem dritten oder vierten Knopf hielt sie inne, um sich vorzubeugen und ihr Gesicht zu betrachten, und berührte mit behutsam tastenden Fingern die Wange, die er geküßt hatte. Sie bemerkte, daß sie rot wurde, und wie die Röte ihr ganzes Gesicht überzog. Sie mußte über sich selbst lachen, zog sich aus, löschte die Lampen, schlug die Vorhänge zurück und ging zu Bett, um mit weit geöffneten Augen dazuliegen und den dunklen Himmel hinter dem offenen Fenster zu beobachten, das Murmeln des Meeres zu hören, das Pochen ihres eigenen Herzens zu spüren, und sich jedes einzelne Wort zu wiederholen, das er im Lauf des Abends gesagt hatte.

Richard Lomax erfüllte sein Versprechen. Er kam in den nächsten Wochen des öfteren vorbei, und seine unerwarteten und unangemeldeten Besuche wurden den Bewohnern von Cam Cottage bald zu etwas Selbstverständlichem. Lawrence, der dazu neigte, jedesmal zu Beginn eines neuen einsamen Winters in Schwermut zu verfallen, fing an zu strahlen, sobald er Richards Stimme hörte. Doris war bereits zu dem Schluß gekommen, daß er ein umwerfender Bursche sei, und die Tatsache, daß er immer bereit war, mit ihren Söhnen Fußball zu spielen oder ihnen zu helfen, wenn sie ihre Fahrräder reparierten, verstärkte noch ihre Begeisterung. Ronald und Clark, denen sein imponierendes Äußeres zuerst eine gewisse Scheu eingeflößt hatte, wurden bald zutraulich, nannten ihn beim Vornamen und bestürmten ihn mit Fragen, an wieviel Schlachten er schon teilgenommen habe, ob er jemals mit einem Fallschirm abgesprungen sei, und wie viele Deutsche er schon erschossen habe. Ernie mochte ihn, weil er nicht arrogant war, nicht davor zurückschreckte, mit anzupacken, und ungefragt eine enorme Menge Holz sägte und spaltete und zu einem eindrucksvollen Stapel schichtete. Sogar Nancy taute schließlich auf und ließ sich eines Abends, als Doris ausgegangen war und Penelope in der Küche arbeitete, von ihm nach oben bringen und baden.
    Für Penelope war es eine außergewöhnliche Zeit, eine Zeit des Wiedererwachens, als hätte sie länger, als sie zurückdenken wollte, nur zur Hälfte gelebt. Ihr inneres Blickfeld wurde nun mit jedem Tag klarer, und eine neue Bewußtheit schärfte ihre Wahrnehmungen. Eine Folge davon war, daß populäre Melodien plötzlich eine ganz neue Aussagekraft bekamen. In der Küche von Cam Cottage stand ein Rundfunkempfänger, der fast immer lief, weil Doris nicht auf seine Gesellschaft verzichten konnte. Er stand auf einer Ecke der Anrichte, brachte Worker ’s Playtime und die Nachrichten und niemand hatte je groß darauf geachtet, was er von morgens bis abends so ausspuckte. Es war eine immer gleichbleibende Geräuschkulisse. Doch eines Morgens, als Penelope gerade am Spülbecken stand und Karotten schabte, sang Judy Garland:
    It seems we stood and talked like this before
    We looked at each other in the same way then,
    But I can’t remember where or when.
    The clothes you’re wearing are the

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