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Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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Mitte November.«
    »Nancy hat Ende November Geburtstag. Sie wird drei.«
    »Bis dahin bin ich zurück.«
    Sie dachte darüber nach. »Drei Wochen«, sagte sie seufzend. »Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit.«
    »Die Abwesenheit ist wie der Wind, der die kleine Kerze ausbläst, aber die Glut eines Feuers zu einer starken Flamme entfacht.«
    »Ich könnte trotzdem darauf verzichten.«
    »Wird es dir helfen, wenn du daran denkst, wie sehr ich dich liebe?«
    »Ja. Ein wenig.«
    Es war Winter geworden. Kalte Ostwinde peitschten das Land und heulten über das Hochmoor. Die aufgewühlte und zornige See nahm die Farbe von Blei an. Häuser, Straßen, der Himmel selbst schienen vor Kälte zu erbleichen. In Cam Cottage wurde morgens als erstes das Feuer angemacht, und den ganzen Tag mußte es mit den kleinen Kohlezuteilungen und allem, was irgend brannte, in Gang gehalten werden. Die Tage wurden kurz und die Abende sehr lang, zumal die Verdunkelungsvorhänge bereits zugezogen werden mußten, wenn sie ihren Tee tranken. Penelope zog wieder ihren Poncho und die dicken schwarzen Strümpfe an, und ehe sie mit Nancy zum Nachmittagsspaziergang aufbrach, mußte sie die Kleine in wollene Pullover, Gamaschenhosen, Mütze und Fausthandschuhe hüllen. Lawrence fror bis auf seine alten Knochen, hielt stundenlang die Hände ans Feuer und wurde unruhig und griesgrämig. Er langweilte sich.
    »Wo ist Richard Lomax bloß abgeblieben? Er ist schon drei Wochen oder noch länger nicht mehr da gewesen.«
    »Drei Wochen und vier Tage, Papa.« Sie hatte angefangen, die Tage zu zählen.
    »So lange ist er noch nie weggeblieben.«
    »Er wird schon wiederkommen und Backgammon mit dir spielen. «
    »Was treibt er bloß?«
    »Ich habe keine Ahnung, Papa.«
    Eine weitere Woche verging, und immer noch kein Zeichen von ihm. Penelope fing wider Willen an, sich Sorgen zu machen. Vielleicht würde er nie zurückkommen. Vielleicht war irgendein Admiral oder General, der in seiner prächtigen Uniform in Whitehall saß, auf einmal zu dem Schluß gekommen, daß Richard für andere Dinge bestimmt sei, hatte ihn nach Nordschottland versetzt, und sie würde ihn nie wiedersehen. Er hatte nicht geschrieben, aber vielleicht war das nicht erlaubt. Oder. und sie verbot sich, daran zu denken. er war, da die Errichtung der Zweiten Front unmittelbar bevorstand, über Norwegen oder Holland abgesprungen, um den Weg für die alliierten Truppen auszuspähen. Ihre geängstigte, überstrapazierte Phantasie scheute vor dieser Möglichkeit zurück, und sie zwang sich, nicht mehr daran zu denken. Nancys Geburtstag rückt näher, und das war gut so, weil Penelope nun etwas anderes hatte, woran sie denken mußte. Sie und Doris wollten eine Kindergesellschaft geben. Zehn kleine Freundinnen bekamen Einladungen zum Tee. Lebensmittelmarken wurden für Schokoladenkekse verschwendet, und Penelope machte mit gehorteter Butter und Margarine eine Torte.
    Nancy war nun alt genug, um sich auf ihren großen Tag zu freuen, und begriff zum erstenmal in ihrem kurzen Leben, worum es ging. Es ging um Geschenke. Nach dem Frühstück saß sie auf dem Vorleger am Wohnzimmerkamin und öffnete ihre Pakete, und ihre Mutter und ihr Großvater sahen belustigt zu, während aus Doris’ Blick nur Liebe sprach. Sie wurde nicht enttäuscht. Penelope schenkte ihr eine neue Puppe, und Doris die Kleider für die Puppe, die sie aus Stoffresten, alten Fetzen und übriggebliebener Strickwolle gemacht hatte. Ernie Penberth hatte ihr eine solide kleine Schubkarre gebastelt, und Ronald und Clark ein Puzzlespiel. Lawrence schenkte ihr, immer in der Hoffnung, ein Zeichen von Talent zu entdecken, eine Schachtel Buntstifte, aber das schönste Geschenk von allen kam von der Großmutter, Dolly Keeling. Eine große Schachtel wurde geöffnet, mehrere Schichten Seidenpapier fortgerissen, und dann kam ein neues Kleid zum Vorschein. Ein Partykleid. Drei oder vier Lagen Organdy, mit Spitzen besetzt und mit rosaroter Seide gesmokt. Nichts hätte Nancy mehr begeistern können. Sie gab den anderen Geschenken einen Tritt, so daß sie zur Seite flogen, und erklärte: »Ich will es anziehen.« Und auf der Stelle fing sie an, sich aus ihren Hosen zu strampeln.
    »Nancy, es ist ein Partykleid. Du kannst es heute nachmittag anziehen, für die Feier. Sieh nur, da ist deine neue Puppe, warum ziehst du ihr nicht etwas von ihren Sachen an. Sieh nur das Ballkleid, das Doris für sie gemacht hat, es hat sogar einen Unterrock mit Spitzen.«
    Später

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