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Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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von Chelsea.«
    »Hatten Ihre Eltern ihn kennengelernt?«
    »Nein. Sie konnten nicht mal zur Hochzeit kommen, weil Papa Bronchitis hatte. Sie lernten ihn erst Monate später kennen, als Ambrose ein Wochenende Urlaub hatte und nach Cam Cottage kam. Und in dem Moment, als er das Haus betrat, wußte ich, daß alles ein Fehler gewesen war. Ein schrecklicher, verhängnisvoller Fehler. Er paßte nicht zu uns. Er paßte nicht zu mir. Und ich war abscheulich zu ihm. Hochschwanger, egoistisch und launisch. Ich versuchte nicht mal, es ihm leichter zu machen. Das ist eines der Dinge, über die ich mich schäme. Und ich schäme mich, weil ich mich immer für reif und intelligent gehalten hatte und dann den dümmsten Entschluß faßte, den eine Frau nur fassen kann.«
    »Sie meinem, den Entschluß zu heiraten.«
    »Ja. Geben Sie es zu, Richard. Sie hätten nie etwas so Dummes getan.«
    »Ich bin mir da nicht so sicher. Ich war drei- oder viermal kurz davor, aber der gesunde Menschenverstand hat mich jedesmal im letzten Moment zu einem Rückzieher veranlaßt.«
    »Sie meinen, Sie haben gewußt, daß Sie nicht verliebt waren, daß es nicht richtig für Sie war?«
    »Ja, das war der eine Grund. Ein anderer war aber, daß ich seit zehn Jahren überzeugt gewesen bin, daß dieser Krieg kommen würde. Ich bin jetzt zweiunddreißig. Als Hitler und die Nazis den Schauplatz betraten, war ich zweiundzwanzig. Auf der Universität hatte ich einen sehr guten Freund, der Claus von Reindorp hieß. Er war kein Jude, aber er kam aus einer guten alten deutschen Familie. Wir sprachen oft darüber, was in seiner Heimat geschah. Er war schon damals voll böser Ahnungen. Dann fuhr ich in einem Sommer nach Österreich, zum Bergsteigen in Tirol. Ich konnte die allgemeine Stimmung selbst spüren und die Schrift an der Wand lesen. Deine Freunde, die Cliffords, waren nicht die einzigen, die erkannten, daß eine schreckliche Zeit bevorstand.«
    »Was wurde aus Ihrem Freund?«
    »Ich weiß es nicht. Er ging zurück nach Deutschland. Eine Zeitlang schrieb er mir noch, aber dann hörten die Briefe auf. Er verschwand einfach aus meinem Leben. Ich kann nur hoffen, daß er inzwischen tot ist. Ich meine, damit die Nazis ihm nichts antun können.« Sie sagte: »Ich hasse diesen Krieg. Ich hasse ihn mindestens so sehr wie alle anderen. Ich möchte, daß er aufhört, daß dieses Morden und die Bombenangriffe und Kämpfe ein Ende haben. Aber gleichzeitig habe ich Angst vor dem Ende. Papa wird alt. Er hat sicher nicht mehr sehr lange zu leben, und wenn ich mich nicht mehr um ihn kümmern muß und wenn der Krieg aufgehört hat, wird es keinen Grund mehr geben, nicht zu meinem Mann zurückzugehen. Ich sehe mich und Nancy schon in einem scheußlichen kleinen Bungalow in Alverstoke oder Keyham, und beim Gedanken daran bekomme ich eine Gänsehaut.«
    Es war heraus. Die Worte schienen in der Stille zu hängen, die nun eintrat. Sie rechnete mit einer tadelnden oder mißbilligenden Bemerkung, irgend etwas, irgendeiner Bestätigung. Sie sah ihn verzagt an. »Verachten Sie mich dafür, daß ich so egoistisch bin?«
    »Nein.« Er beugte sich vor. Ihre Hand lag mit der Handfläche nach oben auf der gestreiften Decke, und er legte seine darauf. »Ganz im Gegenteil.« Ihre Hand war eiskalt, aber die Berührung gab ihr Wärme, und sie schloß die Finger um sein Handgelenk, weil sie seine Wärme brauchte und wollte, daß sie sich in ihr ausbreitete und jeden Teil ihres Seins erreichte. Sie hob seine Hand impulsiv hoch und drückte sie an ihre Wange. Dann sagten sie beide im selben Moment:
    »Ich liebe dich.«
    Sie blickte auf und sah in seine Augen. Es war gesagt. Es war getan. Es konnte nie wieder so sein, als ob es nicht gesagt wäre. »O Richard.«
    »Ich liebe dich«, wiederholte er. »Ich glaube, ich bin seit dem Augenblick in dich verliebt gewesen, in dem ich dich mit deinem Vater auf der anderen Seite der Straße gesehen habe, mit wehendem Haar, wie eine wunderschöne, wilde Zigeunerin.«
    »Ich hatte keine Ahnung. Ich habe wirklich nicht gewußt.«
    »Und ich habe von Anfang an gewußt, daß du verheiratet bist, aber es machte nicht den geringsten Unterschied. Ich konnte an nichts anderes mehr denken als an dich. Und rückblickend glaube ich, daß ich es nicht einmal versucht habe. Und als du mich nach Cam Cottage eingeladen hast, sagte ich mir, es sei nur deines Vaters wegen, weil er sich gern mit mir unterhielt und gern Backgammon spielte. Ich kam also, und dann kam ich

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