Die Muschelsucher
seiner Mutter zu verbringen. Ehe er abreiste, kam er jedoch nach Cam Cottage und gab Geschenke für alle ab. Sie waren in braunes Packpapier gewickelt, mit einer roten Schleife zugebunden und trugen mit Stechpalmen und Rotkehlchen verzierte Namensetiketten. Penelope war zutiefst bewegt. Sie stellte sich vor, wie er einkaufen gegangen war, wie er allein für das Band mehrere Läden abgeklappert hatte, wie er in seinem kahlen Zimmer im Hauptquartier der Königlichen Marineinfanterie gesessen hatte, um jedes einzelne Geschenk sorgsam zu verpacken und mit einer Schleife zu versehen. Sie versuchte, sich Ambrose bei einer so liebevollen und zeitraubenden Tätigkeit vorzustellen, aber es gelang ihr nicht. Sie hatte für Richard einen weinroten Schal aus Lambswool gekauft, der nicht nur Geld, sondern auch kostbare Textilmarken gekostet hatte, und wahrscheinlich würde er ihn für ein hoffnungslos unpraktisches Geschenk halten, da er ihn nicht zu seiner Uniform tragen konnte und so gut wie nie Zivil anhatte. Aber er war so herrlich weich gewesen, so fröhlich und weihnachtlich, daß sie einfach nicht hatte widerstehen können. Sie wickelte ihn in Seidenpapier, fand eine geeignete Schachtel und überreichte ihn, als er seine Geschenke unter dem Weihnachtsbaum aufgestapelt hatte, damit er ihn nach London mitnehmen konnte.
Er drehte die Schachtel hin und her. »Warum mache ich sie nicht gleich jetzt auf?«
Sie war entsetzt. »Bitte nicht, das bringt Unglück! Du darfst sie erst am Weihnachtsmorgen auspacken.«
»Meinetwegen. Wenn du es sagst.«
Sie wollte nicht auf Wiedersehen sagen. Statt dessen sagte sie lächelnd: »Ich wünsche dir glückliche Tage.«
Er küßte sie. »Ich dir auch, mein Liebling.« Es war, als würden sie gewaltsam auseinandergerissen. »Frohe Weihnachten.«
Der Weihnachtsmorgen begann früh wie immer, und es herrschte die gewohnte Aufregung, als sie sich alle in Lawrences Schlafzimmer versammelt hatten und die Erwachsenen ihren Tee tranken, während die Kinder auf das große Bett kletterten, die Strümpfe öffneten und leerten. Trompeten tuteten, Zauberkunststücke wurden vorgeführt, und Lawrence setzte eine Pappnase mit einem Hitlerschnurrbart auf, und alle bogen sich vor Lachen. Dann wurde gefrühstückt, und schließlich trotteten sie nach altem Brauch ins Wohnzimmer und suchten die für sie bestimmten Pakete und Päckchen heraus. Die Aufregung wuchs. Bald war der ganze Fußboden mit Papier und bunten Bändern bedeckt, und sie konnten vor freudigen und befriedigten Ausrufen kaum noch das eigene Wort verstehen. »Oh, danke, Mami, die hab ich schon lange haben wollen. Guck mal, Clark, eine Hupe für mein Fahrradi« Penelope hatte das Geschenk von Richard ein Stück von den anderen entfernt hingelegt und packte es als letztes aus. Die anderen waren nicht so willensstark. Doris riß das Papier von ihrem Päckchen ab und holte ein enorm großes und prachtvolles, in allen Farben des Regenbogens schimmerndes Seidentuch aus der flachen Schachtel. »So ein schönes Tuch hab ich noch nie gehabt!« rief sie, legte es sofort zu einem Dreieck zusammen und band es um. »Wie sehe ich aus?«
Ronald antwortete: »Wie Prinzessin Elizabeth auf ihrem Pony.«
»Oh.« Sie war entzückt. »Wie eine richtige Dame.« Für Lawrence hatte Richard eine Flasche Whisky besorgt, für die Jungen je eine professionelle, gefährlich aussehende Wurfschleuder und für Nancy ein Puppen-Teeservice aus weißem, mit winzigen Blumen bemaltem Porzellan mit Goldrand. »Was hat er dir geschenkt, Penelope?«
»Ich hab es noch nicht ausgepackt.«
»Dann tu es.«
Sie packte es unter den Blicken der anderen aus. Löste die Schleife und faltete das knisternde braune Papier auseinander. Darin war eine kleine weiße, schwarz abgesetzte Schachtel. Chanel No.5. Sie nahm den Deckel ab und sah den viereckigen Flakon auf dem Satinfutter, den Kristallstöpsel, die kostbare goldgelbe Flüssigkeit. Doris sperrte den Mund auf. »Ich hab noch nie eine so große Flasche gesehen, wirklich. Und Chanel No. 5! Du wirst duften wie noch nie!«
Im Deckel der Schachtel steckte ein zweimal zusammengefalteter blauer Umschlag. Penelope nahm ihn verstohlen heraus und steckte ihn in die Tasche ihrer Strickjacke. Später, als die anderen das herumliegende Papier einsammelten, ging sie nach oben in ihr Zimmer und machte den Brief auf.
Mein Geliebtes!
Frohe Weihnachten! Dies ist von der anderen Seite des Atlantiks zu Dir nach Porthkerris gekommen. Ein guter Freund
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