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Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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nachzuholen, was sie sich in den Wochen der Trennung nicht hatten sagen können. »Erzähl mir von Weihnachten, Richard. Wie war es?«
    »Sehr geruhsam.«
    »Was habt ihr gemacht?«
    »Wir waren ein paarmal im Konzert. Und zur Mitternachtsmesse in der Westminster Abbey. Und wir haben uns unterhalten.«
    »Nur du und deine Mutter?«
    »Ein paar Freunde sind vorbeigekommen. Aber die meiste Zeit waren wir allein.«
    Es klang, als ob er ein sehr gutes Verhältnis zu seiner Mutter hätte. Sie wurde neugierig. »Worüber habt ihr euch unterhalten?«
    »Über viele Dinge. Zum Beispiel über dich.«
    »Du hast ihr von mir erzählt?«
    »Ja.«
    »Was hast du ihr erzählt?«
    Er griff über den Tisch und nahm ihre Hand. »Daß ich den einzigen Menschen auf der Welt gefunden habe, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen möchte.«
    »Hast du ihr gesagt, daß ich verheiratet bin und daß ich ein Kind habe?«
    »Ja.«
    »Und wie hat sie darauf reagiert?«
    »Zuerst war sie sehr überrascht. Dann mitfühlend und verständnisvoll.«
    »Sie scheint eine sehr nette Frau zu sein.« Er lächelte. »Ich mag sie.«
    Dann, ehe sie es recht begriffen, war der lange Winter praktisch vorbei. In Cornwall kommt der Frühling früh. Plötzlich liegt ein gewisser Hauch in der Luft, und die Sonne bekommt eine Wärme, während der Rest des Landes noch vor Kälte erschauert. Dieses Jahr war es nicht anders. Inmitten all der Kriegsvorbereitungen, der Schießübungen und der Hubschrauber über dem Meer kehrten die Zugvögel in die geschützten Täler zurück. Ungeachtet der Balkenüberschriften in den Zeitungen, der Mutmaßungen und Gerüchte über die bevorstehende Invasion des Kontinents kam der erste der strahlend blauen, milden, paradiesisch schönen Tage. Winzige Knospen bildeten sich an den Bäumen, das Moor überzog sich mit dem frischen Grün junger Farne, und an den Straßenböschungen erblickte man die ersten milchigweißen Blütensterne der Schlüsselblumen. An einem solchen Tag hatte Richard unvermutet frei, war ohne dringende Verpflichtungen, und sie konnten endlich wieder zum Atelier gehen. Um den Ofen anzuzünden, damit er ihre Liebe erwärmte und beleuchtete, um ihre ureigene kleine Welt wieder in Besitz zu nehmen, ihre Sehnsucht zu stillen und eins zu sein.
    »Wie lange wird es dauern, bis wir wieder hierher kommen können?« fragte sie danach. »Ich wollte, ich wüßte es.«
    »Ich bin gierig. Ich möchte immer mehr. Ich möchte immer ein Morgen.«
    Sie saßen am Fenster. Draußen strahlte alles im Licht der Sonne, der Strand war blendend weiß, und auf dem tiefblauen Wasser tanzten kleine goldene Kreise. Möwen ließen sich vom Wind hertragen, schwenkten ab und schrien, und genau unter ihnen suchten zwei kleine Jungen in einem Tümpel, den die Ebbe zwischen den Felsen zurückgelassen hatte, nach Garnelen. »Im Augenblick ist ein Morgen ein kostbares Gut.«
    »Du meinst, jetzt im Krieg?«
    »Er gehört zum Leben, genau wie Geburt und Tod.« Sie seufzte. »Ich gebe mir wirklich Mühe, nicht zu egoistisch zu sein. Ich denke an die Millionen von Frauen in der Welt, die alles dafür geben würden, wenn sie an meiner Stelle sein könnten, sicher und geborgen und mit genügend Essen und allen meinen Lieben um mich. Aber es nützt nichts. Ich bin einfach voll Groll, weil ich nicht die ganze Zeit mir dir Zusammensein kann. Und was es irgendwie noch schlimmer macht, ist, daß du wirklich da bist. Du bewachst nicht den Felsen von Gibraltar, kämpfst nicht im Dschungel von Birma und dienst nicht auf einem Zerstörer im Atlantik. Du bist da. Aber der Krieg drängt sich trotzdem zwischen uns und trennt uns voneinander. Es ist nur, daß ich jetzt, wo sich alles zuzuspitzen scheint und alle Leute von der Invasion reden, das Gefühl habe, die Zeit rast. Und alles, was wir bekommen, sind ein paar gestohlene Stunden.« Er sagte: »Ich habe Ende des Monats eine Woche Urlaub. Möchtest du mit mir irgendwohin fahren?«
    Während sie sprach, hatte sie die beiden Jungen mit den Garnelennetzen beobachtet. Einer von ihnen hatte tief in dem grünen Seetang etwas gefunden. Er hockte sich hin, um es zu untersuchen, und sein Hosenboden wurde naß. Eine Woche Urlaub. Eine Woche. Sie wandte den Kopf und sah Richard an, überzeugt, sie habe sich entweder verhört, oder er habe es nur gesagt, um sie aus ihrer Unzufriedenheit zu reißen.
    Er las den Ausdruck in ihrem Gesicht und lächelte. »Es stimmt«, versicherte er. »Eine ganze Woche?«
    »Ja.«
    »Warum

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