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Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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von mir war in New York, als sein Kreuzer instand gesetzt wurde, und brachte es mit, als er zurückkam. Für mich beschwört der Duft von Chanel No. 5 alles herauf, was reizvoll und verführerisch, leicht und sorglos ist. Lunch im Berkeley, London im Mai, wenn der Flieder blüht, Lachen und Liebe und Dich. Meine Gedanken sind immer bei Dir. Du bist immer in meinem Herzen.
    Richard
    Es war derselbe Traum. Sie sah es als Richards Welt. Immer das gleiche. Die lange bewaldete Landzunge, am äußersten Ende das Haus mit dem flachen Dach, ein Haus wie am Mittelmeer. Der Swimming-pool, in dem Sophie schwamm, und Papa, das Gesicht im Schatten der breiten Hutkrempe verborgen, an seiner Staffelei. Und dann der menschenleere Strand und das Wissen, daß sie nicht Muscheln suchte, sondern einen Menschen. Er kam, und sie sah ihn aus der Ferne kommen und wurde von einer seligen Freude erfüllt. Doch ehe sie ihn erreichen konnte, wallte der Dunst vom Meer heran, ein fahlgrauer Nebel, der wie eine Flut herwogte, so daß er zuerst darin zu waten und dann zu ertrinken schien. »Richard.«
    Sie griff nach ihm und wachte auf. Aber der Traum löste sich auf, und er war fort. Ihre Hände berührten nur das kalte Laken an der anderen Seite des Betts. Sie konnte das Meer hören, aber es ging kein Wind. Alles war still. Was hatte sie also beunruhigt, was verbarg sich am Rand ihres Bewußtseins? Sie schlug die Augen auf. Das Dunkel wich, der Himmel färbte sich am Horizont hell, und im Zwielicht des anbrechenden Tages konnte sie die Einzelheiten ihres Zimmers erkennen. Das Messingfußende des Betts, ihre Frisierkommode, den geneigten Spiegel, der den Himmel reflektierte. Sie sah den kleinen Armstuhl, den offenen Koffer, der, schon zur Hälfte gepackt, daneben auf der Erde stand.
    Das war es. Der Koffer. Heute. Ich verreise heute. Ich fahre in die Ferien, für eine ganze Woche, mit Richard.
    Sie lag da und dachte eine Weile an ihn, und dann fiel ihr wieder der verwirrende Traum ein. Der sich nie änderte. Immer dieselbe Folge von Bildern. Nostalgische Bilder mit verlorenem Inhalt, und dann das Suchen. Das allmähliche Verschwimmen und das abschließende Gefühl des Verlusts. Aber bei genauerem Überlegen war es vielleicht doch nicht so verwirrend, denn der Traum hatte sich zum erstenmal nach Richards Rückkehr aus London, Anfang Januar, ihres Schlafs bemächtigt und war dann die letzten zweieinhalb Monate unregelmäßig wiedergekehrt.
    Es war eine Zeit voll schmerzhafter Enttäuschungen gewesen, denn seine Arbeit hatte ihn so sehr in Anspruch genommen, daß sie ihn kaum gesehen hatte. Der Lehrgang und die damit verbundenen Übungen schienen, obgleich das bitterkalte Wetter eigentlich das Gegenteil hätte bewirken sollen, ganz neue Dimensionen bekommen zu haben. Das zeigte sich schon an der wachsenden Zahl von Truppen und Militärfahrzeugen im Ort und in der näheren Umgebung. Nun wurden die schmalen Straßen am Markt und am Hafen oft von Konvois blockiert, und die Kommandozentrale am Nordlager kam Tag und Nacht nicht zur Ruhe.
    Offensichtlich näherte sich alles einem Höhepunkt. Hubschrauber stiegen auf und schwebten über das Meer hinaus, und nach Neujahr war über Nacht eine ganze Pionierkompanie eingetroffen, um in dem verlassenen Moor jenseits der Klippen von Boscarben einen Schießplatz einzurichten. Er sah unheimlich und abschreckend aus mit seinem Stacheldrahtverhau, den roten Warnflaggen und den großen Schildern des Kriegsministeriums, die die Zivilbevölkerung aufforderten, dem Gelände fernzubleiben, wenn sie nicht Tod und Vernichtung auf sich heraufbeschwören wolle. Wenn der Wind aus einer bestimmten Richtung kam, konnte man in Porthkerris Tag und Nacht sporadisches Gewehrfeuer hören. Nachts war es besonders beängstigend, weil man nie genau wissen konnte, was wirklich los war, wenn man in kaltem Schweiß gebadet und mit heftigem Herzklopfen aus dem Schlaf hochschreckte.
    Doch gelegentlich kam Richard, unangemeldet wie eh und je. Seine Schritte in der Diele, seine klingende Stimme verfehlten nie, sie mit Freude zu erfüllen. Gewöhnlich kam er nach dem Abendessen und saß dann bei ihr und Papa im Wohnzimmer und trank einen Kaffee, und anschließend spielten sie bis in die späte Nacht Backgammon. Einmal hatte er sie, nachdem er im letzten Moment angerufen und ihr Bescheid gesagt hatte, zum Essen bei Gaston abgeholt, und sie tranken dort eine Flasche von Gastons ausgezeichnetem Wein und redeten Stunde um Stunde, um all das

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