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Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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aus dem Korb neben der steinernen Einfassung nachzulegen, und fand sich, als er sich aufrichtete, plötzlich vor einem an ihn adressierten Umschlag, der an die Uhr auf dem Kaminsims gelehnt war. Er nahm ihn, riß ihn auf und zog eine Nachricht der Gastgeberin heraus.
    Richard! Der Rasenmäher steht in der Garage, Kanister mit Benzin daneben. Schlüssel zum Weinkeller hängt über der Kellertür. Trinkt, soviel ihr mögt. Viel Spaß. Helena.
    Sie gingen durch die Küche und die Wirtschaftsräume -Speisekammer, Spülküche, Vorratsräume und Waschküche -hinaus auf einen Wirtschaftshof mit Kopfsteinpflaster, in dem Wäscheleinen gespannt waren. Die alten Stallungen dienten inzwischen als Garage. Werkzeugschuppen und Holzschuppen. Sie fanden den Rasenmäher und außerdem zwei Ruder und ein zusammengerolltes Segel. »Sicher für das Boot«, kommentierte Richard befriedigt. »Wenn Hochwasser ist, können wir ein bißchen segeln.« Ein Stück weiter entdeckten sie eine uralte Holztür in einer flechtenbewachsenen Mauer aus Granitsteinen. Richard stemmte sie mit der Schulter auf, und sie betraten einen Grundstücksteil, der früher als Gemüsegarten gedient haben mußte. Sie sahen Gewächshäuser mit zerbrochenen Scheiben und ein durchhängendes Gurkenspalier, aber die ungehindert wuchernde Vegetation hatte das Land in Besitz genommen, und von all dem, was früher einmal den Stolz des Gartens ausgemacht hatte, zeugten nur noch ein dichtes Rhabarberbeet, ein kleiner Teppich aus Minze und zwei oder drei sehr alte Apfelbäume, knorrig wie Greise, doch mit blaßrosa Blüten bedeckt. Ein intensiver Geruch von Wachstum und Frühling hing in der warmen Luft.
    Der Anblick des verwilderten Gartens machte Penelope traurig. Sie seufzte. »Ein Jammer. Es war früher bestimmt wunderschön. Herrliche Buchsbaumhecken und gepflegte Beete.«
    »Ja, so habe ich es aus der Zeit vor dem Krieg in Erinnerung. Aber damals hatten sie zwei Gärtner. Allein schafft man das nicht.«
    Sie öffneten eine zweite Tür und kamen auf einen Weg, der zu dem kleinen Fluß hinunterführte. Penelope pflückte einen Strauß wilder Narzissen, und sie setzten sich auf den Bootssteg und sahen zu, wie das Wasser kaum merklich stieg. Als sie Hunger bekamen, gingen sie ins Haus zurück, aßen Brot und gekochten Schinken und ein paar überjährige schrumpelige Äpfel, die sie in der Speisekammer fanden. Am späten Nachmittag, als Hochwasser war, borgten sie sich in der Garderobe der Bradburys Öljacken, holten die Ruder und das Segel und fuhren mit dem Dingi hinaus. Auf dem windgeschützten Flüßchen kamen sie nur langsam voran, doch als sie das offene Wasser erreicht hatten, wurden sie von der frischen Brise erfaßt, und Richard knallte das Kielschwert hinunter und kreuzte. Die winzige Nußschale krängte bedrohlich, kenterte aber nicht, und sie schossen hart am Wind durch das tiefe und kabbelige Wasser der Meerenge und ließen sich von Gischt besprühen.
    Es war ein verwunschenes Haus und zugleich ein Haus, das in der Vergangenheit zu schlummern schien. Hier, das spürte man, war das Leben immer sorglos und unbeschwert gewesen, langsam und gemächlich, und das Haus hatte wie eine sehr alte und launische Uhr oder ein sehr alter und launischer Mensch jedes Gefühl für Zeit verloren. Diese Atmosphäre übte einen Einfluß aus, dem man sich offenbar nicht entziehen konnte. Schon am ersten Abend erlagen Penelope und Richard, von der milden Luft der Südküste wie trunken, dem sanften Zauber von Tresillick, und von da an war die Zeit nicht mehr wichtig und hörte sogar auf zu existieren. Sie bekamen keine Zeitung zu Gesicht, stellten kein einziges Mal das Radio an, und wenn das Telefon klingelte, ließen sie es klingeln, weil sie wußten, daß der Anruf nicht ihnen galt.
    Die Tage und Nächte wurden ohne den Zwang regelmäßiger Mahlzeiten oder dringender Verpflichtungen, ohne die Tyrannei strenger Uhren zu einer ungebrochenen, stetig dahinströmenden Einheit. Ihr einziger Kontakt zur Außenwelt war Mrs. Brick, die getreu ihrer Ankündigungen kam und ging. Ihre Besuche waren unregelmäßig, um das mindeste zu sagen, und sie wußten nie, wann sie erscheinen würde. Manchmal begegneten sie ihr nachmittags um drei im Haus, wo sie Möbel abstaubte, Fliesen schrubbte oder die abgetretenen Teppiche mit einer altmodischen Kehrmaschine bearbeitete. Eines frühen Morgens platzte sie in ihr Zimmer, als sie noch im Bett lagen, und brachte ihnen ein Tablett mit Tee, doch ehe sie

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