Die Muschelsucher
eine neue Art von Luxus entdeckt.«
»Und der wäre?«
»Ganz allein, ohne den Menschen, den man liebt, auf einem frisch gemähten Rasen zu sitzen. Man ist allein, aber man weiß, daß man nicht lange allein sein wird, weil er nur eine kleine Weile fort ist und jeden Moment zurückkommt.« Sie lächelte. »Ich finde, das ist bis jetzt die schönste.«
Ihr letzter Tag. Morgen, in aller Frühe, würden sie nach Porthkerris zurückkehren. Sie weigerte sich, dieser Tatsache ins Auge zu sehen, und verbannte den Gedanken daran. Ihr letzter Abend. Sie saßen wieder am Kamin, Richard auf dem Sofa, und Penelope mit angezogenen Beinen vor ihm am Boden. Sie hörten keine Musik. Statt dessen las er ihr das Herbsttagebuch von MacNeice vor, nicht nur das Liebesgedicht, das er an jenem so unendlich fernen Tag in Papas Atelier rezitiert hatte, sondern das ganze Buch vom Anfang bis zum Ende. Es war sehr spät, als er die letzten Verse sprach.
Schlaf beim Murmeln des strömenden Wassers,
Das wir morgen überqueren, so tief es auch sein mag;
Es gibt keinen Totenfluß, keine Lethe,
Heute nacht schlafen wir
Am Ufer des Rubikons - der Würfel ist gefallen,
Später wird Zeit sein,
Bilanz zu ziehen, später wird die Sonne scheinen,
Und die Gleichung wird endlich aufgehen.
Langsam schloß er das Buch. Sie seufzte, denn sie wollte nicht, daß es zu Ende war. Sie sagte: »So wenig Zeit. Er hat gewußt, daß der Krieg kommen würde.«
»Ich denke, im Herbst 1938 haben es die meisten von uns gewußt.« Das Buch glitt aus seiner Hand und fiel zu Boden. Er sagte: »Ich muß fort.«
Das Feuer war erloschen. Sie wandte den Kopf und blickte in sein Gesicht und sah, daß es voll Trauer war. »Warum bist du so traurig?«
»Weil ich das Gefühl habe, daß ich dich verrate.«
»Wohin gehst du?«
»Ich weiß nicht. Ich darf es nicht sagen.«
»Wann?«
»Sobald wir nach Porthkerris zurückkommen.« Ihr sank das Herz. »Morgen.«
»Oder übermorgen.«
»Wirst du zurückkommen?«
»Nicht gleich.«
»Hast du einen anderen Einsatz?«
»Ja.«
»Wer wird deine Aufgabe übernehmen?«
»Niemand. Die Operation ist beendet. Vorbei. Tom Mellaby und sein Verwaltungsstab werden noch eine Zeitlang im Hauptquartier bleiben und alles abwickeln, aber die Kommandos und die Ranger werden in ein paar Wochen abgezogen. Porthkerris wird seinen Nordanleger zurückbekommen, und sobald der Rugbyplatz freigegeben ist, können Doris’ Jungen wieder Fußball spielen.«
»Dann ist also alles vorbei?«
»Dieser Abschnitt, ja.«
»Und was kommt als nächstes?«
»Wir müssen abwarten und sehen.«
»Wie lange weißt du es schon?«
»Zwei, drei Wochen.«
»Warum hast du es mir nicht vorher gesagt?«
»Aus zwei Gründen. Erstens ist es noch vertraulich, sogar geheim. Aber das wird es nicht mehr lange bleiben. Und zweitens wollte ich diese kurze Zeit, die wir zusammen hatten, nicht verderben.« Sie war voller Liebe für ihn. »Nichts hätte sie verderben können.« Während sie die Worte sagte, wurde ihr bewußt, wie wahr sie waren. »Du hättest es nicht für dich behalten sollen. Nicht vor mir verbergen. Du darfst nie etwas vor mir verbergen.«
»Mich von dir zu trennen, wird das Schwerste sein, was ich je getan habe.«
Sie dachte an die Trennung von ihm und an die Leere, die dann kommen würde. Versuchte, sich das Leben ohne ihn vorzustellen, und konnte es nicht einmal ansatzweise. Nur eines stand fest. »Das Schlimmste wird der Abschied sein.«
»Dann sagen wir uns einfach nicht auf Wiedersehen.«
»Ich möchte nicht, daß es vorbei ist.«
»Es ist nicht vorbei, mein Liebling.« Er lächelte. »Es hat noch nicht einmal angefangen.«
»Er ist fort?« Sie strickte. »Ja, Papa.«
»Er hat sich nicht einmal verabschiedet.«
»Aber er hat dich besucht, und er hat dir eine Flasche Whisky mitgebracht. Er wollte nicht auf Wiedersehen sagen.«
»Hat er dir auch nicht auf Wiedersehen gesagt?«
»Nein. Er ist einfach durch den Garten fortgegangen. Wir hatten es so besprochen.«
»Wann kommt er zurück?«
Sie hatte das Ende der Maschenreihe erreicht, wechselte die Nadeln und nahm einen neue in Angriff. »Ich weiß es nicht.«
»Willst du es mir nicht sagen?«
»Ich weiß es wirklich nicht.«
Er schwieg. Seufzte. »Er wird mir fehlen.« Der Blick seiner dunklen klugen Augen wanderte durch das Zimmer zu seiner Tochter. »Aber nicht so sehr wie dir, glaube ich.«
»Ich liebe ihn, Papa. Wir lieben uns.«
»Ich weiß. Ich habe es seit Monaten
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