Die Muschelsucher
freue ich mich schon darauf, sie in ihrem neuen Heim hängen zu sehen, wo alle sie bewundern können. Ich habe Noel und Nancy all das nicht geschrieben. Sie werden es früher oder später ohnehin erfahren und wahrscheinlich einen Schlag bekommen und sehr ärgerlich auf mich sein, aber ich kann nichts daran ändern. Ich habe ihnen alles gegeben, was ich konnte, und sie wollen immer noch mehr. Vielleicht werden sie jetzt aufhören, mir in den Ohren zu liegen, und endlich ihr eigenes Leben leben. Aber Du wirst mich verstehen, glaube ich.
Alles Liebe, wie immer, Mama
Nancy war nicht recht mit sich zufrieden. Der Grund war, daß sie sich bei ihrer Mutter seit jenem verhängnisvollen Sonntag nicht mehr gemeldet hatte, seit jener schrecklichen Auseinandersetzung der Bilder wegen, in deren Verlauf Penelope ihr und Noel ihre Vorwürfe und ihre Meinung ins Gesicht geschleudert und Dinge gesagt hatte, die im übrigen unverantwortlich und skandalös waren. Nicht, daß sie Schuldgefühle hatte. Im Gegenteil, sie war zutiefst verletzt gewesen. Mutter hatte ihr Sachen an den Kopf geworfen, die nie wieder rückgängig gemacht werden konnten. Und sie hatte all die Tage vergehen lassen, ohne anzurufen, weil sie erwartete, daß Penelope den ersten Schritt tun würde. Daß sie anrief, vielleicht nicht, um sich zu entschuldigen, aber wenigstens, um zu plaudern, sich nach den Kindern zu erkundigen, vielleicht ein Treffen vorzuschlagen. Um zu signalisieren, daß alles vergessen war und daß die Beziehung sich wieder normalisiert hatte.
Aber es war nicht geschehen. Kein Anruf. Zuerst blieb Nancy eingeschnappt und pflegte ihren Groll. Sie redete sich ein, sie sei in Ungnade gefallen, und konnte es nicht ertragen. Sie hatte schließlich nichts Unrechtes getan. Sie hatte nur aus Sorge um ihr aller Wohl den Mund aufgetan.
Dann fing sie jedoch an, sich Sorgen zu machen. Es sah ihrer Mutter gar nicht ähnlich, lange zu schmollen. War es möglich, daß es ihr nicht gut ging? Sie hatte sich furchtbar aufgeregt, und das konnte für eine ältere Frau, die gerade einen Herzanfall überstanden hatte, einfach nicht gut sein. Hatte es Folgen gehabt? Sie zitterte bei dem Gedanken und versuchte ihre Angst zu verdrängen. Bestimmt nicht. Antonia hätte ihr bestimmt Bescheid gesagt. Sie war sehr jung und wahrscheinlich nicht verantwortungsbewußt, aber so gedankenlos konnte sie einfach nicht sein. Die Sorge nagte an ihr und ließ ihr keine Ruhe. Sie war gestern und vorgestern sogar mehr als einmal zum Telefon gegangen, um Podmore’s Thatch anzurufen, aber sie hätte jedesmal wieder aufgelegt, weil sie nicht wußte, was sie sagen sollte, und weil sie keinen Grund fand, anzurufen. Aber dann hatte sie eine glückliche Eingebung. Bald war Ostern. Sie würde Mutter und Antonia zum Mittagessen ins Alte Pfarrhaus einladen. Das bedeutete keinen Gesichtsverlust, und bei Lammbraten und jungen Kartoffeln würden sie sich wieder versöhnen.
Sie war gerade mit der nicht sehr anstrengenden Aufgabe beschäftigt, im Eßzimmer Staub zu wischen, als sie diesen glänzenden Einfall hatte. Sie legte Federwisch und Staubtuch hin und ging schnurstracks in die Küche, zum Wandtelefon. Sie wählte die Nummer und wartete verbindlich lächelnd, bereit und gewillt, dieses Lächeln in ihre Stimme einfließen zu lassen. Sie hörte, wie es läutete. Es wurde nicht abgenommen. Ihr Lächeln verschwand. Sie wartete sehr lange. Zuletzt hängte sie ein und hatte das Gefühl, im Stich gelassen worden zu sein.
Sie rief um drei Uhr nachmittags wieder an, und um sechs Uhr noch einmal. Sie rief den Störungsdienst an und bat den Mann, die Leitung zu überprüfen. »Es klingelt ganz normal«, teilte er ihr mit. »Natürlich klingelt es. Ich hab den ganzen Tag zugehört, wie es klingelt. Es muß etwas nicht in Ordnung sein.«
»Sind Sie sicher, daß der Teilnehmer zu Haus ist?«
»Natürlich ist er zu Haus. Es ist meine Mutter. Sie ist immer zu Haus.«
»Wenn Sie einen Moment Geduld hätten. Ich prüfe es noch mal und ruf Sie dann wieder an.«
»Danke.«
Sie wartete. Er rief wieder an. Die Leitung sei in Ordnung. Anscheinend war Mutter einfach nicht da.
Inzwischen war ihre Sorge weitgehend von Ärger abgelöst worden. Sie rief Olivia in London an. »Olivia.«
»Hallo?«
»Ich bin’s, Nancy.«
»Ja, was ist.«
»Olivia, hör zu, ich hab versucht, Mutter zu erreichen, und in Podmore’s Thatch nimmt niemand ab. Hast du eine Ahnung, was passiert sein kann?«
»Natürlich nimmt niemand
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