Die Muschelsucher
ab. Sie ist nach Cornwall gefahren.«
»Nach Cornwall?«
»Ja, über Ostern. Mit Antonia und Danus. Sie sind mit dem Auto gefahren.«
»Antonia und Danus?«
»Sei nicht so schockiert.« Olivias Stimme klang sehr amüsiert. »Warum sollte sie nicht? Sie wollte seit Monaten hinfahren, und da keiner von uns Zeit hatte, ist sie einfach mit ihnen gefahren.«
»Aber sie wohnen doch nicht alle bei Doris Penberth? Sie hat doch bestimmt nicht genug Platz.«
»O nein, nicht bei Doris. Sie wohnen im Sands.«
»Im Sands?«
»Also Nancy, hör um Gottes willen auf, alles zu wiederholen, was ich sage.«
»Aber das Sands ist Luxuskategorie. Eines der besten Hotels im ganzen Land. Es ist überall abgebildet und beschrieben. Es kostet ein Vermögen.«
»Hast du es noch nicht gehört? Mutter hat ein Vermögen. Sie hat die Tafelbilder für hunderttausend Pfund an einen amerikanischen Millionär verkauft.«
Nancy fragte sich, ob sie den Verstand verlieren oder in Ohnmacht fallen würde. Wahrscheinlich in Ohnmacht fallen. Sie konnte fühlen, wie ihr das Blut aus den Wangen wich. Ihre Knie zitterten. Sie langte nach einem Stuhl.
»Hunderttausend Pfund? Das ist unmöglich. Sie können doch nicht so viel wert sein. Nichts ist hunderttausend Pfund wert.«
»Nichts ist irgend etwas wert, wenn niemand da ist, der es haben will. Und dann der Seltenheitswert. Ich habe versucht, es dir zu erklären, als wir im L’Escargot gegessen haben. Bilder von Lawrence Stern kommen nur selten auf den Markt, und dieser Amerikaner, wer immer er ist, wollte die beiden Bilder wahrscheinlich mehr haben als irgend etwas auf der Welt. Und es war ihm egal, was er dafür zahlen mußte. Zum Glück für Mama. Ich hab mich wahnsinnig für sie gefreut.«
Aber Nancys Gedanken waren immer noch in Aufruhr. Hunderttausend Pfund. »Wann war das?« fragte sie endlich rauh. »Ich weiß nicht genau. Erst kürzlich.«
»Woher weißt du das denn?«
»Sie hat mir einen langen Brief geschrieben und alles erzählt. Auch über den Streit, den sie mit dir und Noel hatte. Ihr seid unmöglich. Ich habe euch wer weiß wie oft gesagt, daß ihr sie in Ruhe lassen sollt, aber ihr habt nicht auf mich gehört. Ihr habt sie immer weiter geplagt, bis sie es nicht mehr ertragen konnte. Ich nehme an, das ist der Grund, warum sie zuletzt beschlossen hat, die Bilder zu verkaufen. Wahrscheinlich hat sie begriffen, daß sie nur dann Ruhe vor euch haben würde.«
»Das ist unfair.«
»Nancy, hör auf, mir etwas vorzumachen, und hör auf, dir selbst etwas vorzumachen.«
»Sie ist wie Wachs in ihren Händen.«
»In wessen Händen?«
»Danus und Antonia. Du hättest ihr dieses Mädchen nie ins Haus schicken dürfen. Und ich traue auch diesem Danus nicht über den Weg.«
»Noel auch nicht.«
»Beunruhigt dich das nicht?«
»Kein bißchen. Ich habe großes Vertrauen zu Mamas Menschenkenntnis.«
»Und das viele Geld, das sie für sie ausgibt? In eben diesem Moment. Eine Luxussuite im Sands Hotel. Mit ihrem Gärtner!«
»Warum sollte sie ihr Geld nicht ausgeben, wie sie will? Es gehört ihr. Und warum sollte sie es nicht für sich und zwei junge Leute ausgeben, die sie nun mal mag? Ich sagte doch schon, sie hat uns alle gefragt, ob wir sie begleiten wollten, und keiner von uns hatte Zeit oder Lust. Wir hatten unsere Chance, und wir haben abgelehnt. Wir können niemandem Vorwürfe machen außer uns selbst.«
»Als sie mich einlud, hat sie kein Wort vom Sands Hotel gesagt. Nur von Doris Penberths Gästezimmer, mit Frühstück in der Küche.«
»Hast du deshalb nicht angenommen? Hattest du was gegen die einfache Umgebung? Wärst du mitgefahren, wenn sie mit dem Sands Hotel gewunken hätte, wie man einem Esel mit einer Karotte winkt?«
»Du hast kein Recht, so etwas zu sagen.«
»Ich habe jedes Recht. Ich bin deine Schwester, Gott weiß warum. Und es gibt noch etwas, was du wissen solltest. Mama ist nach Porthkerris gefahren, weil sie sich seit einer Ewigkeit danach sehnt, es wiederzusehen, aber sie ist auch hingefahren, um Die Muschelsucher zu sehen. Sie hat sie zur Erinnerung an ihren Vater dem kleinen Museum dort geschenkt, und sie möchte sie in ihrem neuen Heim besuchen.«
»Geschenkt?« Nancy glaubte einen Moment lang, sie hätte sich verhört oder aber ihre Schwester nicht richtig verstanden. »Du meinst, sie hat das Bild weggegeben?«
»Genau.«
»Aber es ist wahrscheinlich Tausende wert. Hunderttausende.«
»Ich bin sicher, daß alle Beteiligten das zu schätzen
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