Die Muschelsucher
alte Dame, den ganzen Hügel zu Fuß hinaufzugehen, und haben gesagt, sie würden nachher mit dem Wagen kommen und mich abholen.«
»Sehr schön. Aber ich wünschte, du hättest Nancy mitgebracht. Ich würde sie so gern wiedersehen. Und warum bist du nicht schon früher einmal gekommen? Es ist einfach unmöglich, daß wir vierzig Jahre in ein paar Stunden nachholen.«
Sie machten jedoch einen guten Anfang, stellten atemlos Fragen, beantworteten sie und ließen sich über Kinder und Enkel berichten.
»Clark hat ein Mädchen aus Bristol geheiratet, und sie haben zwei Kinder. Da, sie sind auf dem Foto auf dem Kamin, das ist Sandra und das ist Kevin. Sie ist ein sehr kluges kleines Mädchen. Und das sind die Kinder von Ronald. Er lebt in Plymouth. Sein Schwiegervater hat eine Möbelfabrik, und er hat ihn ins Geschäft aufgenommen. Sie kommen in den Sommerferien immer her, aber sie müssen weiter oben in einer Frühstückspension wohnen, weil hier nicht genug Platz für sie alle ist. Und jetzt erzähl von Nancy. Was für ein kleiner Schatz sie war.«
Damit war Penelope an der Reihe, aber sie hatte natürlich vergessen, Fotos mitzubringen. Sie erzählte Doris von Melanie und Rupert und brachte es mit einiger Mühe fertig, ein positives Bild zu zeichnen.
»Sie wohnen doch bei dir in der Nähe? Siehst du sie oft?«
»Es ist gut dreißig Kilometer entfernt.«
»Das ist ziemlich weit, nicht? Aber du wohnst gern auf dem Land? Lieber als in London? Ich war eigentlich nicht weiter überrascht, als du damals geschrieben hast, daß Ambrose euch von einem Tag auf den anderen verlassen hat. Unmöglich. Aber es sah ihm ähnlich. Er war natürlich ganz attraktiv, aber ich habe nie gefunden, daß ihr zusammengepaßt habt. Trotzdem, einfach seinen Koffer zu packen! Ein egoistischer Kerl. Männer denken immer nur an sich. Das sage ich immer zu Ernie, wenn er seine schmutzigen Socken im Badezimmer auf der Erde liegen läßt.«
Und als sie ihre Männer und ihre Familien abgehakt hatten, fingen sie an, sich an die alten Zeiten zu erinnern, an die langen Kriegsjahre, in denen sie nicht nur all die Sorgen und Ängste, die Langeweile und die Entbehrungen miteinander geteilt hatten, sondern auch die sonderbaren und verrückten Vorkommnisse, über die man im Rückblick nur noch lachen konnte.
Wie Colonel Trubshot mit seinem Blechhelm und seiner Luftschutzbinde um den Arm durch den Ort schlich, der Verdunkelung wegen den Weg verfehlte und über die Hafenmauer ins Meer fiel. Wie Miss Preedy vor einem Publikum uninteressierter Damen ein Rotkreuz-Seminar hielt und sich im Verbandszeug verhedderte. Wie General Watson-Grant auf dem Schulhof die Bürgerwehr drillte und der alte Willie Chirgwin sich das Bajonett in den großen Zeh spießte und mit dem Krankenwagen ins Krankenhaus gebracht werden mußte.
»Und das Kino«, erinnerte Doris ihre alte Freundin, während sie sich die Lach tränen abwischte. »Weißt du noch, wie wir immer ins Kino gegangen sind? Zweimal die Woche, und wir haben nie einen Film verpaßt. Erinnerst du dich noch an Charles Boyer in Das goldene Tor? Im ganzen Saal ist kein Auge trocken geblieben. Ich habe drei Taschentücher verbraucht, und als ich herauskam, habe ich immer noch Tränen gelacht.«
»Es war herrlich, nicht wahr? Und es gab ja kaum etwas, was wir sonst tun konnten. Außer Radio hören, Worker’s Playtime und Mr. Churchill, der uns alle paar Wochen zum Durchhalten aufgerufen hat.«
»Am besten war Carmen Miranda. Ich habe keinen einzigen Film mit ihr verpaßt.« Doris sprang auf, stemmte eine Hand in die Hüften und spreizte die Finger ab. »Ay-ay-ay-ay-aye, ich liebe dich so särr. Ay-ay-ay-ay-aye, ich finde dich umwärrfend.« Die Tür fiel ins Schloß, und Ernie kam ins Zimmer. Doris fand die Unterbrechung noch komischer als ihre eigene Nummer, ließ sich rücklings aufs Sofa fallen und schüttelte sich vor Lachen. Ernie blickte verlegen von einer zur anderen. »Was ist denn mit euch beiden los?« fragte er, und da Penelope sah, daß seine Frau nicht in der Lage war, die Frage zu beantworten, riß sie sich zusammen, stand auf und ging zu ihm, um ihn zu begrüßen. »O Ernie.« Sie mußte immer noch kichern und wischte sich die Augen trocken. »Entschuldigung. Wir führen uns auf wie zwei Backfische. Wir haben uns an früher erinnert und mußten furchtbar lachen. Entschuldige bitte.« Ernie wirkte noch kleiner als früher, er war sichtlich gealtert. Seine schwarzen Haare waren schneeweiß geworden. Er
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