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Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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Alles andere wäre moralisch verwerflich. Eine solche Gelegenheit kommt nie wieder. Was für eine Rolle spielt es schon, wenn ihr in der ersten Zeit kaum über die Runden kommt? Antonia kann sich einen Job suchen, das tun die meisten jung verheirateten Frauen. Andere junge Paare schaffen es einfach deshalb, weil sie ihre Prioritäten richtig setzen.« Er sagte nichts dazu, und sie runzelte die Stirn. »Ich nehme an, es ist Ihr Stolz. Ihr törichter, dickköpfiger schottischer Stolz. Und wenn dem so ist, sind Sie schrecklich egoistisch. Wie können Sie einfach fortgehen und sie verlassen, sie so unglücklich machen? Was ist los mit Ihnen, Danus? Was veranlaßt Sie dazu, der Liebe den Rücken zu kehren?«
    »Ich habe gesagt, daß ich zwei Gründe habe. Und ich habe Ihnen einen davon genannt.«
    »Und was ist der andere?« Er sagte: »Ich bin Epileptiker.«
    Sie erstarrte innerlich und war zu keinem Wort, zu keiner Geste fähig. Sie sah sein Gesicht, seine Augen, und sein Blick war stet und wich dem ihren nicht aus. Es drängte sie, ihn in die Arme zu nehmen, ihn festzuhalten und zu trösten, aber sie tat nichts von alldem. Alle möglichen Gedanken schossen ihr durch den Kopf, flogen wie aufgeschreckte Vögel ziellos in alle Richtungen. Die Antwort auf all die ungestellten Fragen. Dieser Mann ist Danus. Sie holte tief Luft. Sie sagte: »Haben Sie das Antonia erzählt?«
    »Ja.«
    »Möchten Sie es mir erzählen?«
    »Deshalb bin ich hier. Antonia hat mich hergeschickt. Sie sagte, wenn es jemand erfahren muß, dann Sie. Ehe ich gehe und euch verlasse, muß ich sagen, warum.« Sie legte ihm die Hand aufs Knie.
    »Ich höre.«
    »Ich denke, angefangen hat alles mit meinem Vater und meiner Mutter. Und mit Ian. Ich glaube, ich habe Ihnen erzählt, daß mein Vater Anwalt ist. Es ist seit drei Generationen Tradition in seiner Familie, und der Vater meiner Mutter war Richter am obersten schottischen Gerichtshof. Ian sollte die Tradition fortsetzen, in die Kanzlei meines Vaters eintreten und sein Nachfolger werden. Er wäre sicher ein guter Anwalt geworden, denn er hatte mit allem Erfolg, was er anpackte. Aber er starb mit vierzehn Jahren. Alle erwarteten natürlich, daß ich seinen Platz einnahm. Ich hatte noch nie darüber nachgedacht, was ich später einmal machen wollte. Ich wußte nur, daß ich nun Jura studieren mußte. Man könnte wohl sagen, ich sei programmiert worden wie ein Computer. Nun ja, ich machte die Reifeprüfung, und obgleich ich nie so gescheit war wie Ian, bestand ich die Aufnahmeprüfung an der Universität Edinburgh. Da ich aber noch sehr jung war, beschloß ich, ein oder zwei Jahre blau zu machen, um zu reisen und mir die Welt anzusehen. Ich fuhr nach Amerika. Ich trieb mich zwischen der Ostküste und der Westküste herum und nahm jeden Job an, der sich bot, und landete schließlich in Arkansas auf einer Rinderranch, die einem gewissen Jack Rogers gehörte. Die Ranch war riesengroß, erstreckte sich meilenweit, und ich arbeitete als Cowboy, half Rinder zusammentreiben, flickte Zäune und nächtigte zusammen mit drei anderen Jungs in einer schäbigen Baracke. Die Ranch lag mitten in der Wildnis. Die nächste Ortschaft hieß Sleeping Creek und war fünfundsechzig Kilometer entfernt, aber wenn man sich einmal dorthin aufraffte, war auch nichts weiter los. Ich fuhr manchmal mit Sally Rogers hin, um einzukaufen und für Jack Vorräte, Geräte und Werkzeug zu besorgen. Das dauerte jedesmal einen ganzen Tag, und wenn wir mit dem Pritschenwagen den Schotterweg entlangrumpelten, waren wir nach einer Stunde über und über mit braunem Staub bedeckt. Eines Tages, gegen Ende meiner Zeit auf der Ranch, wurde ich plötzlich krank. Ich fühlte mich saumäßig, mußte in einem fort brechen, bekam Schüttelfrost und dann hohes Fieber. Ich muß phantasiert haben, denn ich kann mich nicht erinnern, daß sie mich aus der Baracke holten und ins Haus brachten, aber dort kam ich dann wieder zu Bewußtsein, und Sally Rogers saß an meinem Bett und pflegte mich. Sie machte ihre Sache gut, und nach ungefähr einer Woche hatte ich mich einigermaßen erholt und war wieder auf den Beinen. Wir kamen zu dem Schluß, daß es irgendein Virus gewesen sei, den ich mir geholt hatte, und als ich drei Schritte gehen konnte, ohne umzukippen, begann ich wieder zu arbeiten. Kurz danach wurde mir dann ohne jede Vorwarnung schwarz vor Augen, ich kippte um, fiel klatsch auf den Rücken und blieb etwa eine halbe Stunde bewußtlos liegen. Es schien

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