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Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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Mittag. Danach fuhr sie zur Kanzlei von Enderby, Looseby & Thring in der Gray’s Inn Road. Sie nannte dem Mädchen am Empfang ihren Namen und wurde eine schmale Treppe zu Mr. Enderbys Büro hinaufgeführt. Das Mädchen klopfte und öffnete die Tür.
    »Mrs. Keeling für Sie, Mr. Enderby.«
    Sie trat zurück. Während Penelope den Raum betrat, stand Mr. Enderby auf und kam hinter seinem Schreibtisch hervor, um sie zu begrüßen.
    Früher, als sie kein Geld gehabt hatte, wäre sie entweder mit dem Bus oder mit der U-Bahn von der Gray’s Inn Road zum Bahnhof Paddington gefahren. Eigentlich hatte sie das auch heute vorgehabt, doch als sie die Kanzlei verließ und auf den Gehsteig trat, graute ihr plötzlich davor, sich mit öffentlichen Verkehrsmitteln von einem Ende der Stadt zum anderen zu mühen. Ein freies Taxi näherte sich, und sie trat vor und winkte.
    Sie stieg ein, lehnte sich dankbar über den Komfort mit einem leisen Seufzer zurück und dachte an ihr Gespräch mit Mr. Enderby. Sie hatte vieles erörtert, beschlossen und geregelt. Nun war nichts mehr zu tun. Sie war zu einer Lösung gekommen, aber es hatte sie sehr angestrengt, und sie fühlte sich am Ende ihrer Kräfte, nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. Sie hatte Kopfschmerzen, und die Schuhe schienen auf einmal viel zu klein zu sein für ihre Füße. Außerdem fühlte sie sich schmutzig, und ihr wurde heiß, denn es war, obgleich die Sonne hinter einer Wolkendecke verborgen blieb, ein sehr warmer Nachmittag, und die Luft war bleiern, abgestanden und verbraucht. Während sie aus dem Fenster schaute und darauf wartete, daß Ampeln von Rot auf Grün sprangen, wurde sie plötzlich überwältigt und bedrängt von allem, was sie sah. Die schiere Größe der Stadt, die Millionen Menschen, die mit freudlosen und besorgten Gesichtern durch die Straßen hasteten, als ginge es um Leben und Tod. Sie hatte einst in London gelebt. Es war ihre Heimat gewesen. Hier hatte sie ihre Kinder großgezogen. Jetzt konnte sie sich nicht mehr vorstellen, wie sie das ausgehalten hatte.
    Sie hatte den Zug um Viertel nach vier nehmen wollen, aber der Verkehr in der Marylebone Street hatte so beängstigende Ausmaße angenommen, daß sie sich, als das Taxi Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett passiert hatte, damit abfand, ihn nicht zu bekommen und den nächsten zu nehmen. Vor dem Bahnhof zählte sie die Geldscheine ab, um den enormen, überteuerten Fahrpreis zu zahlen, und ging dann zu einer Telefonzelle und rief Antonia an, um ihr zu sagen, daß sie erst um Viertel vor acht in Cheltenham ankommen würde. Danach kaufte sie eine Illustrierte, ging ins Bahnhofshotel, bestellte ein Kännchen Tee und wartete.
    Die Fahrt in dem heißen, bis zum letzten Platz besetzten und unbequemen Abteil schien kein Ende zu nehmen, und sie war unsäglich erleichtert, als der Zug endlich hielt und sie ausstieg. Antonia wartete auf dem Bahnsteig; es war ein Segen, begrüßt, umarmt und untergehakt zu werden, nicht mehr selbst für sich verantwortlich zu sein. Sie gingen durch die Sperre und verließen die Halle, und Penelope sah zum klaren Abendhimmel hoch, roch Bäume und Gras und füllte ihre Lungen dankbar mit der duftenden frischen Luft. »Ich fühle mich, als wäre ich wochenlang fort gewesen«, sagte sie.
    Sie stiegen in den alten Volvo und fuhren heim. »Hattest du einen erfolgreichen Tag?« fragte Antonia. »Ja, aber ich bin wie zerschlagen. Ich komme mir schmutzig vor und habe keine Kraft mehr in den Beinen, wie jemand auf der Flucht. Und ich hatte ganz vergessen, wie anstrengend London sein kann. Die meiste Zeit scheint dafür draufzugehen, von hier nach dort zu kommen. Deshalb habe ich auch den Zug verpaßt. Und der nächste war voll von Berufstätigen, und ausgerechnet der Mann mit dem größten Gesäß, das man sich vorstellen kann, suchte sich den Platz neben mir aus.«
    »Ich habe Hühnerfrikassee gemacht, aber vielleicht ist dir nicht danach, so spät noch zu essen.«
    »Mir ist vor allem nach einem heißen Bad, und dann möchte ich sofort ins Bett.«
    »Sobald wir da sind, kannst du beides haben. Und wenn du dich hingelegt hast, komme ich hinauf und sehe nach, ob dir nach einem kleinen Imbiß ist, und wenn ja, bringe ich dir etwas auf einem Tablett.«
    »Du bist ein solcher Schatz.«
    »Ich muß dir etwas sagen. In Podmore’s Thatch ist es irgendwie komisch, wenn du nicht da bist.«
    »Wie hast du den einsamen Tag verbracht?«
    »Ich habe den Rasen gemäht. Es ist mir gelungen,

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