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Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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beiseite stellen wie ein Paket, das man in einem passenderen Augenblick öffnet. Es war der alte Trick, den sie in schweren Zeiten gelernt hatte. Das Schließen des wasserdichten Abteils, die uneingeschränkte Konzentration auf das praktische Problem, die oberste Priorität. Zuerst das Wichtigste. Immer der Reihe nach. Sie sagte: »Erzählen Sie mir alles, Mrs. Plackett.«
    »Na ja, ich bin heute morgen um acht gekommen. Sonst komme ich Dienstag nicht, aber mein Enkel hatte gestern Geburtstag, und ich habe gefragt, ob ich dafür heute kommen kann. Ich bin früher als sonst dagewesen, weil ich dienstags auch bei Mrs. Kitson putze. Ich habe mit meinem eigenen Schlüssel aufgemacht, und es war niemand da. Ich hatte gerade Feuer unter dem Boiler gemacht, als Antonia herunterkam. Sie fragte, wo ist Mrs. Keeling, ihre Schlafzimmertür ist offen, und sie liegt nicht im Bett. Wir wußten nicht, wo sie sein konnte. Dann habe ich gesehen, daß die Wintergartentür offen war, und ich sagte zu Antonia: ›Sie ist sicher draußen im Garten‹ Antonia ging hinaus, um nachzusehen. Dann hörte ich, wie sie meinen Namen rief. Und ich lief hin. Und da sah ich sie.« Olivia entnahm ihrem Tonfall, daß sie es mit einer resoluten Person vom Land zu tun hatte, die nicht zum erstenmal ein solches Unglück erlebte, und sie war auch dafür dankbar. Mrs. Plackett war eine Frau in reiferen Jahren. Wahrscheinlich hatte sie schon viele Male erlebt und damit fertig werden müssen, daß jemand starb, und hatte ein einigermaßen nüchternes Verhältnis zum Tod. »Zuerst mußte ich Antonia beruhigen. Sie war vollkommen fertig und weinte und zitterte wie eine verängstigte kleine Katze. Aber ich habe sie fest in die Arme genommen und ihr eine Tasse Tee gemacht, und sie hat sich sehr tapfer verhalten, und jetzt sitzt sie hier bei mir in der Küche. Als sie einigermaßen in Ordnung war, habe ich den Arzt in Pudley angerufen, der kam zehn Minuten später, und ich habe mir die Freiheit genommen, auch Mr. Plackett anzurufen. Er arbeitet in der Computerfabrik und hat diese Woche Spätschicht, so daß er gleich mit dem Rad herkommen konnte. Er hat dem Arzt geholfen, Mrs. Keeling ins Haus zu tragen und nach oben in ihr Schlafzimmer zu bringen. Sie liegt jetzt friedlich auf ihrem Bett. Was das betrifft, brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen.«
    »Was hat der Arzt gesagt?«
    »Er sagte, es ist ein Herzanfall gewesen, Miss Keeling. Wahrscheinlich war sie sofort tot. Und er hat einen Totenschein ausgestellt. Er hat ihn hier bei mir gelassen. Und dann habe ich zu Antonia gesagt: ›Ich rufe am besten gleich Mrs. Chamberlain an‹, aber sie meinte, ich sollte zuerst Sie anrufen. Ich hätte es vielleicht schon vorher tun sollen, aber ich wollte nicht, daß Sie denken, Ihre arme Mutter liegt immer noch tot im Garten.«
    »Das war sehr taktvoll von Ihnen, Mrs. Plackett. Dann weiß es sonst noch niemand?«
    »Nein, Miss Keeling. Nur Sie.«
    »Gut.« Olivia sah auf die Uhr. »Ich werde Mrs. Chamberlain und meinem Bruder Bescheid sagen. Und sobald ich hier alles Nötige erledigt habe, komme ich nach Podmore’s Thatch. Ich denke, ich werde gegen Mittag bei Ihnen sein. Sind Sie dann noch da?«
    »Keine Sorge, Miss Keeling. Ich bin hier, solange Sie mich brauchen. «
    »Ich werde ein paar Tage bleiben müssen. Vielleicht könnten Sie das Bett in dem anderen Gästezimmer beziehen. Und sorgen Sie bitte dafür, daß genug zu essen da ist. Wenn nötig, kann Antonia den Wagen nehmen und in Pudley einkaufen. Es ist vielleicht ganz gut für sie, wenn sie etwas um die Ohren hat.« Ihr kam ein Gedanke. »Übrigens, was ist mit dem jungen Gärtner. Danus? Ist er da?«
    »Nein, Miss Keeling. Er ist in Schottland. Ist schon von Cornwall aus hingefahren. Hatte irgendeinen wichtigen Termin.«
    »Oh, das ist schade. Na ja, nicht zu ändern. Richten Sie Antonia alles Liebe von mir aus.«
    »Möchten Sie mit ihr sprechen?«
    »Nein«, sagte Olivia. »Nein. Nicht jetzt. Das kann warten.«
    »Es tut mir leid, Miss Keeling. Es tut mir so leid, daß ich diejenige bin, die es Ihnen gesagt hat.«
    »Irgend jemand mußte es sein. Und, Mrs. Plackett. Vielen Dank.«
    Sie legte auf. Dann schaute sie aus dem Fenster und sah zum erstenmal, daß es ein strahlender Tag war. Es war ein wunderschöner Maimorgen, und Mama war tot.
    Später, als alles vorbei war, sollte Olivia sich fragen, was sie bloß ohne Mrs. Plackett gemacht hätten. Olivia hatte in ihrem Leben schon manches tun müssen, aber eine

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