Die Muschelsucher
mich noch nie einsam gefühlt, aber damals tat ich es, und aus irgendeinem Grund wollte ich nicht allein hierher zurückkommen. Sie war sehr lieb und wollte unbedingt heiraten, und sie fand die Vorstellung, in Ibiza zu leben, fabelhaft romantisch. Es war mein größter Fehler. Ich hätte es ihr vorher zeigen sollen, so wie man eine Freundin zu seinen Eltern mitnimmt und sie vorstellt. Aber ich tat es nicht. Wir heirateten in London, und als sie das Haus hier zum erstenmal sah, war sie schon meine Frau.«
»Hat sie sich hier wohl gefühlt?«
»Zuerst ja. Aber dann bekam sie Sehnsucht nach London. Ihre Freunde fehlten ihr, alles fehlte ihr, das Theater und die Konzerte in der Albert Hall und die Einkaufsbummel und die Partys, wo man neue Leute kennenlernt, und die Wochenendtrips. Sie langweilte sich.«
»Und Antonia?«
»Antonia wurde hier auf der Insel geboren. Eine richtige kleine Ibizenkerin. Ich dachte, wenn wir ein Kind hätten, würde sie etwas ruhiger werden, aber es wurde nur noch schlimmer. Also beschlossen wir, uns in aller Freundschaft zu trennen. Wir hatten keine Auseinandersetzungen, aber es gab auch nicht viel, worüber wir uns hätten streiten können. Sie nahm Antonia mit und behielt sie, bis sie acht war, und als sie dann zur Schule ging, kam sie in den Oster- und Sommerferien immer hierher auf die Insel.«
»War das keine Belastung für dich?«
»Nein. Sie hat überhaupt keine Probleme gemacht. Ich habe ein sehr nettes Ehepaar als Nachbarn, Tomeu und Maria, sie haben einen kleinen Bauernhof weiter unten am Weg. Tomeu hilft mir ab und zu im Garten, und Maria hält das Haus in Ordnung und kümmert sich ein bißchen um Antonia, wenn sie hier ist. Sie sind die allerbesten Freunde. Und Antonia ist praktisch zweisprachig großgeworden.«
Es war inzwischen viel kühler. Olivia setzte sich auf und langte nach ihrem Hemd, zog es an und knöpfte es zu. Cosmo wurde auch unruhig und erklärte, das lange Gespräch habe ihn durstig gemacht, er brauche einen Drink. Olivia sagte, sie würde am liebsten eine Tasse Tee trinken. Er antwortete, sie sehe nicht so aus, aber er erhob sich und lief zum Haus, um Wasser aufzusetzen. Olivia blieb am Swimming-pool und genoß es, allein zu sein, aber nur, weil sie wußte, daß er nach einer Weile zurückkommen würde. Das Wasser im Becken war unbewegt und reflektierte die Statue eines Flöte spielenden Knaben, die am anderen Ende stand, wie ein Spiegel. Eine Möwe flog über das Grundstück hinweg. Olivia beugte den Kopf zurück, um ihre anmutigen Bewegungen, die vom Licht der untergehenden Sonne rosarot überhauchten Flügel zu beobachten, und in diesem Moment wußte sie, daß sie bei Cosmo bleiben würde. Sie würde sich ein Jahr schenken - wie ein wunderbares Geschenk.
Alle Brücken hinter sich abzubrechen schien noch traumatischer zu sein, als es klang. Diesen Eindruck hatte Olivia jedenfalls, als sie die vielen Dinge erledigte, die ihre Entscheidung nach sich zog. Als erstes fuhren sie zurück zum Hotel, dem Los Pinos, um ihre Sachen zu holen und ihre Rechnung zu begleichen. Sie taten es heimlich, um nicht gesehen zu werden, und statt zu ihren Freunden zu gehen oder auf sie zu warten und die Situation zu erklären, wählte sie den Weg des geringsten Widerstands und hinterließ einen kurzen und unzulänglichen Brief an der Rezeption.
Dann mußte sie Telegramme schicken, Briefe schreiben und Telefongespräche mit England führen, die nicht nur deshalb schwierig waren, weil die Leitung immerfort gestört war. Sie hatte geglaubt, sie würde sich befreit und schwerelos fühlen, wenn sie alles hinter sich habe, mußte jedoch feststellen, daß sie vor panischer Angst zitterte und krank vor Erschöpfung war. Richtiggehend krank. Sie verbarg es vor Cosmo, doch als er später ins Wohnzimmer kam, wo sie auf dem Sofa lag und Tränen der Erschöpfung weinte, die sie nicht kontrollieren konnte, merkte er alles.
Er war sehr verständnisvoll. Er brachte sie in Antonias kleines Zimmer, wo sie allein und ungestört war, und ließ sie dort zwei Tage und drei Nächte schlafen. Sie erwachte nur dann zum Leben, wenn er ihr heiße Milch brachte oder wenn sie genügend Appetit hatte, um eine Scheibe Brot mit Butter oder ein wenig Obst zu essen. Als sie am dritten Morgen aufwachte, wußte sie, daß es vorbei war. Sie fühlte sich gestärkt, frisch, von einem herrlichen Wohlbehagen erfüllt und voller Tatendrang. Sie reckte sich, stand auf und klappte die Fensterläden zurück, um die
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