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Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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scharfen Konturen zu verlieren und sich zu runden und zu glätten. Großgewachsen, gertenschlank und tiefbraun gebrannt trat sie vor den Spiegel und fand sich zum erstenmal in ihrem Leben wirklich schön.
    Einmal war sie einen Tag allein. Cosmo war in die Stadt gefahren, um die Zeitungen und seine Post zu holen und nach dem Boot zu sehen. Sie lag auf der Terrasse und beobachtete zwei kleine bunte Vögel, die in den Zweigen eines Ölbaums schnäbelten. Während sie dem zärtlichen Spiel zusah, wurde sie sich eines sonderbaren Gefühls der Leere bewußt. Sie analysierte es, kreiste es ein und kam zu dem Schluß, daß sie sich langweilte. Sie langweilte sich nicht mit Ca’n D’alt oder mit Cosmo, aber sie langweilte sich mit sich selbst und ihrem untätigen Verstand, der nutzlos wie ein leeres Zimmer war. Sie dachte gründlich über diesen neuen Zustand nach, stand dann auf und ging ins Haus, um sich etwas zu lesen zu holen.
    Als Cosmo zurückkam, war sie so sehr in ihr Buch vertieft, daß sie ihn nicht hörte und erschrocken hochfuhr, als er plötzlich neben ihr stand. »Ich schwitze und sterbe vor Durst«, sagte er, und dann hielt er inne und starrte auf sie hinunter. »Olivia, ich wußte gar nicht, daß du eine Brille trägst.« Sie legte das Buch hin. »Nur beim Lesen und bei der Arbeit und bei Arbeitsessen mit Macho-Typen, die ich beeindrucken will. Sonst trage ich Kontaktlinsen.«
    »Ich habe es nie bemerkt.«
    »Stört es dich? Wird es unsere Beziehung beeinflussen?«
    »Kein bißchen. Du siehst mit Brille ungeheuer intelligent aus.«
    »Ich bin ungeheuer intelligent.«
    »Was liest du?«
    »George Eliot. Die Mühle am Fluß.«
    »Fang bitte nicht an, dich mit der armen Maggie Tulliver zu identifizieren. «
    »Ich identifiziere mich nie mit jemandem. Übrigens, du hast eine ausgezeichnete Bibliothek. Alles, was ich lesen möchte oder wieder lesen möchte oder nie Zeit hatte zu lesen. Wahrscheinlich werde ich das ganze Jahr meine Nase in irgendein Buch stecken.«
    »Von mir aus gern, solange du dich nur dann und wann losreißt, um meine fleischliche Lust zu befriedigen.«
    »Das verspreche ich.« Er beugte sich nach unten und küßte sie trotz Brille und allem, und dann ging er ins Haus, um sich ein Bier zu holen.
    Sie las Die Mühle am Fluß zu Ende, und dann las sie Sturmhöhe und dann die Romane von Jane Austen. Sie las Sartre, Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit und, zum erstenmal in ihrem Leben, Krieg und Frieden. Sie las Klassiker, Biographien und Romane von Schriftstellern, von denen sie noch nie gehört hatte. Sie las John Cheever und Joseph Conrad und eine arg mitgenommene Ausgabe der Schatzsucher, die sie sofort in das alte Haus in der Oakley Street zurückversetzten, in die Zeit, als sie noch ein Kind wie alle anderen gewesen war.
    Da all diese Bücher gute alte Freunde von Cosmo waren, konnten sie die Abende mit langen literarischen Gesprächen verbringen, bei denen sie gewöhnlich Schallplatten aus seiner Sammlung auflegten, die Sinfonie aus der Neuen Welt oder Elgars Enigma-Variationen oder andere Sinfonien und vollständige Opern. Um auf dem laufenden zu bleiben, ließ er sich jede Woche die Times schicken. Als sie eines Abends einen Bericht über die Schätze der Tate Gallery gelesen hatte, erzählte sie ihm von Lawrence Stern.
    »Er war mein Großvater, der Vater meiner Mutter.« Cosmo war aufrichtig beeindruckt. »Das ist ja hochinteressant. Warum sagst du es mir erst jetzt?«
    »Ich weiß nicht. Ich rede gewöhnlich nicht über ihn.
    Außerdem kennen die meisten Leute heutzutage nicht mal seinen Namen. Er kam aus der Mode und wurde einfach vergessen.«
    »Er war ein großer Maler.« Er runzelte die Stirn und überlegte. »Aber er wurde, wann war es doch gleich? Ja, er wurde in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts geboren. Er muß schon sehr alt gewesen sein, als du auf die Welt kamst.«
    »Mehr als das, er war schon tot. Er ist 1946 gestorben, in seinem Haus in Porthkerris.«
    »Seid ihr früher in den Ferien nach Cornwall gefahren?«
    »Nein. Das Haus war immer an andere Leute vermietet, und zuletzt hat meine Mutter es verkauft. Sie mußte es verkaufen, denn wir hatten nie genug Geld, und das war ein anderer Grund, warum wir nie verreist sind.«
    »Hat es euch etwas ausgemacht?«
    »Nancy hat sehr darunter gelitten. Noel zuerst auch, aber dann verreiste er ohne uns, weil er die Gabe hatte, immer die richtigen Freunde zu finden. Er wurde jedes Jahr zum Segeln und Skilaufen

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