Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
Vom Netzwerk:
perlmutterne und süße Luft des frühen Morgens hereinzulassen, roch die taubenetzte Erde und hörte die Hähne krähen. Sie zog ihren Bademantel an und ging hinauf in die Küche. Sie setzte Wasser auf und machte Tee. Sie stellte die Kanne und zwei Tassen auf ein Tablett und ging damit die andere Treppe in Cosmos Zimmer hinunter.
    Die Fensterläden waren noch geschlossen, und es war noch dunkel, aber er war schon wach.
    Als sie durch die Tür kam, sagte er: »Oh, hallo.«
    »Guten Morgen. Ich bringe dir den ersten Tee.« Sie stellte das Tablett neben dem Bett auf den Boden und ging zum Fenster, um die Läden aufzustoßen. Schräg einfallende Sonnenstrahlen füllten den Raum mit Licht. Cosmo streckte den Arm unter der Decke hervor und sah auf die Uhr.
    »Halb acht. Du bist eine Frühaufsteherin.«
    »Ich wollte dir nur sagen, daß es mir wieder besser geht.« Sie setzte sich auf das Bett. »Und mich entschuldigen, daß ich ein solcher Schlappschwanz war, und dir für dein Verständnis und deine Freundlichkeit danken.«
    »Wie willst du mir danken?« fragte er.
    »Na ja, ich wüßte schon eine Methode, aber dafür ist es vielleicht noch zu früh am Morgen.«
    Cosmo lächelte und rückte zur Seite, um ihr Platz zu machen. »Dafür ist es nie zu früh«, sagte er. »Und nie zu spät.« Danach sagte er: »Du bist wirklich sehr gut im Bett.« Sie hatte den Kopf in seine Armbeuge gelegt und kuschelte sich an ihn. »Ich habe schließlich auch ein paar Erfahrungen gesammelt, genau wie du.«
    »Sagen Sie, Miss Keeling«, sagte er und bemühte sich, wie Noel Coward zu klingen, »darf man fragen, wann Sie Ihre Unschuld verloren haben? Ich weiß, daß unsere Hörer es gern erfahren würden.«
    »Im ersten Semester in Oxford.«
    »Auf welchem College?«
    »Spielt das eine Rolle?«
    »Unter Umständen.«
    »Lady Margaret Hall.«
    Er küßte sie. Er sagte: »Ich liebe dich«, und nun klang er nicht mehr wie Noel Coward.
    Die wolkenlosen, heißen, langen und müßigen Tage gingen dahin, und sie taten nichts, als sie zu genießen. Sie schwammen und schliefen, sie spazierten zum Garten hinunter, um die Zwerghühner zu füttern und die Eier einzusammeln oder, nur zum Zeitvertreib, ein wenig Unkraut zu jäten. Olivia lernte Tomeu und Maria kennen, die ihre Anwesenheit ganz selbstverständlich zu finden schienen und sie jeden Morgen mit einem breiten Lächeln und einem herzlichen Händedruck begrüßten. Sie lernte ein bißchen Küchenspanisch und sah zu, wenn Maria ihre gewaltigen Paellas zubereitete. Kleidung war auf einmal nicht mehr wichtig. Sie schminkte sich tagsüber nicht mehr und lief barfuß in alten Jeans oder sogar im Bikini herum. Manchmal spazierten sie mit einem Korb zum Dorf hoch, um ein paar Sachen einzukaufen, doch als hätten sie eine stillschweigende Übereinkunft getroffen, mieden sie die Stadt und die Küste. Nun, wo sie Zeit hatte, über ihr Leben nachzudenken, wurde sie sich bewußt, daß sie zum erstenmal nicht lernte, arbeitete, sich abmühte, um weiterzukommen und Erfolg zu haben. Sie hatte schon als Mädchen den Ehrgeiz gehabt, die Beste zu sein und sich nicht mit dem zweiten Platz zufriedenzugeben. Die Beste in der Klasse, die besten Zeugnisse. Büffeln für die mittlere Reife, für die Reifeprüfung, für das Stipendium, schon morgens vor der Schule am Schreibtisch sitzen und lernen, um die Noten zu bekommen, die ihr einen Studienplatz in Oxford sichern würden. Und dann, auf der Universität, fing alles wieder von vorn an, ein jahrelanges Rennen, das in den aufreibenden und erbarmungslosen Examensmonaten seinen Höhepunkt fand. Sie bestand in ihren Fächern, Englisch und Geschichte, mit Auszeichnung und hätte sehr gut eine längere Pause einlegen können, aber die innere Maschine stand nicht still, und sie hatte schreckliche Angst, ihren Schwung zu verlieren, Chancen zu verpassen, und arbeitete weiter. Das war nun elf Jahre her, und sie hatte nie einen langsameren Gang eingelegt.
    All das war vorbei. Sie spürte keinerlei Bedauern. Sie war von einem Tag zum anderen klug geworden, klug im altmodischen Sinn des Wortes, und hatte begriffen, daß die Begegnung mit Cosmo, ihr Aussteigen, genau rechtzeitig gekommen war. Wie jemand mit einem psychosomatischen Leiden hatte sie die Therapie gefunden, ehe sie die Symptome diagnostiziert hatte. Sie war grenzenlos dankbar. Ihre Haare bekamen einen satten Schimmer, ihre dunklen, dicht bewimperten Augen leuchteten vor Glück, sogar ihre Gesichtsknochen schienen die

Weitere Kostenlose Bücher