Die Muschelsucher
schöner Batzen für ihn abfallen. Seine Gedanken wanderten voraus, und strahlende Möglichkeiten zeichneten sich ab. Er würde seinen Schreibtischjob bei Wenborn & Weinburg kündigen und sich selbständig machen. Nicht in der Werbung, sondern in der Warenterminbranche: Glücksspiel in großem Maßstab. Aber er würde sich nach beiden Seiten absichern, auf Hausse und auf Baisse spekulieren.
Alles, was er brauchte, war eine sehr gute Adresse im West End, ein Telefon, einen Computer und Chuzpe. Von letzterem hatte er bereits mehr als genug. Die Spekulanten abkochen, den institutionellen Anlegern Honig um den Bart schmieren, das große Geld machen. Er empfand eine beinahe sexuelle Erregung. Es war möglich. Alles, was ihm fehlte, war das Kapital, um die Sache in Bewegung zu setzen.
Die Muschelsucher. Vielleicht würde er am nächsten Wochenende hinunterfahren und seine Mutter besuchen. Er hatte sie seit Monaten nicht mehr gesehen, aber sie war kürzlich krank gewesen - Nancy hatte ihm die Neuigkeit mit Grabesstimme am Telefon verkündet - , und das war ein guter Grund, Podmore’s Thatch einen Besuch abzustatten, und dann konnte er das Gespräch geschickt auf die Bilder bringen. Wenn sie anfing, Ausflüchte zu machen, oder auf Dinge wie die Kapitalertragsteuer hinwies, die auch bei Profiten aus dem Erlös von Kunstgegenständen fällig war, würde er seinen Freund Edwin Murphy erwähnen, der Antiquitätenhändler war und viel Erfahrung darin hatte, Spitzenobjekte auf dem Kontinent an den Mann zu bringen und das Geld auf Schweizer Banken zu verstecken, wo es vor dem Zugriff des unersättlichen Finanzamts sicher war. Es war übrigens Edwin gewesen, der Noel zuerst darauf hingewiesen hatte, daß die Preise für die alten allegorischen Bilder, die um die Jahrhundertwende so sehr in Mode gewesen waren, in New York und London anzogen, und einmal hatte er ihm sogar vorgeschlagen, sein Partner zu werden. Aber Noel hatte ihm nach reiflichem Überlegen eine hinhaltende Antwort gegeben. Er wußte, daß Edwin gefährlich hart am Wind segelte, und hatte nicht die geringste Neigung, auch nur eine Woche im Gefängnis von Wormwood Scrubs zu verbringen.
Die Schwierigkeiten waren schier unüberwindlich. Er seufzte tief, trank seinen Whisky aus, sah auf die Uhr. Viertel nach fünf, Amabel wollte ihn um halb sechs abholen. Er stemmte sich hoch, holte seine Reisetasche aus dem Schrank in der Diele und packte rasch für das Wochenende. Darin war er sehr gut - er hatte schließlich eine jahrelange Praxis darin -, und es dauerte nicht mehr als fünf Minuten. Dann zog er sich aus und ging ins Bad, um zu duschen und sich zu rasieren. Das Wasser war kochendheiß, eines der wenigen guten Dinge an dieser düsteren Hundehütte, und nach dem Duschen fühlte er sich, innerlich erwärmt und frisch duftend, gleich viel besser. Er zog Freizeitkleidung an, Baumwollhemd, Kaschmirpullover und Tweedsakko, legte seinen Kulturbeutel in die Reisetasche, zog deren Reißverschluß zu und häufte seine schmutzige Wäsche in eine Ecke der Küche, wo seine Putzfrau, die jeden Tag kam, sie finden und sich hoffentlich ihrer erbarmen würde.
Manchmal tat sie es nämlich nicht. Manchmal kam sie nicht einmal. Er erinnerte sich sehnsüchtig daran, wie es früher gewesen war, ehe seine Mutter das Haus in der Oakley Street ohne einen Gedanken an ihn oder jemand anderen verkauft hatte. Dort hatte er alles gehabt. Seinen eigenen Schlüssel, der ihm Unabhängigkeit garantierte, und seine eigenen Zimmer im obersten Stock, zusammen mit all den Vorteilen, die es mit sich bringt, daheim zu wohnen. Immer warmes Wasser, immer Scheite im Kamin, Essen in der Speisekammer, Flaschen im Weinkeller, ein großer Garten für den Sommer, der Pub auf der anderen Seite der Straße, der Fluß praktisch vor der Tür, seine Wäsche wurde gewaschen, sein Bett gemacht, seine Hemden gebügelt, und er hatte nicht mal eine Rolle Toilettenpapier zahlen müssen. Außerdem war seine Mutter ebenso selbständig gewesen wie er, und wenn sie auch nicht taub gewesen war und wohl gehört hatte, wie die Stufen knarrten und wie Mädchen, die sich die Schuhe ausgezogen hatten, an ihrer Schlafzimmertür vorbeihuschten, hatte sie wenigstens so getan, als wäre sie es, und hatte nie ein Wort darüber verloren. Er hatte sich vorgestellt, daß diese Idylle ewig weitergehen würde und daß er der einzige wäre, der etwas daran ändern könnte, und als sie ihm zum erstenmal sagte, sie wolle das Haus verkaufen und
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