Die Muschelsucher
kalte Luft ins Zimmer. Es war eben erst hell geworden, und der Himmel war wolkenlos. Vielleicht würde es ein schöner Tag werden.
Sie blieb noch eine Weile schläfrig liegen, entspannte sich und lächelte zufrieden vor sich hin, als sie an die Nacht zurückdachte, und freute sich dann auf den bevorstehenden Ausflug. Sie wandte den Kopf und betrachtete liebevoll den Mann, der die andere Seite des großen Bettes einnahm. Er hatte einen Arm unter den Kopf gelegt, und der andere lag auf der dicken weißen Decke. Der Arm war wie der Rest seines gesunden und muskulösen Körpers sonnengebräunt, und ein weicher goldener Flaum überzog ihn. Sie streckte die Hand aus und berührte seinen Unterarm, wie sie einen Gegenstand aus Porzellan oder eine Skulptur berührt hätte, einfach aus dem Verlangen heraus, die Form und Krümmung mit den Fingerspitzen zu erfühlen. Die leichte Berührung störte ihn nicht, und als sie die Hand fortzog, schlief er immer noch.
Inzwischen hatte ihre gewohnte Energie sie wieder in Besitz genommen, und sie war hellwach. Sie setzte sich behutsam auf, schlüpfte unter der Decke hervor und schwang die Beine über den Bettrand. Sie zog ihre Hausschuhe an, stand auf und griff nach ihrem blaßrosa Morgenmantel, zog ihn an und knotete den breiten Gürtel um ihre schmale Taille zu. Sie verließ das Zimmer, schloß leise die Tür hinter sich und ging nach unten.
Sie zog die Vorhänge zurück und stellte fest, daß es wirklich ganz nach einem schönen Tag aussah. Es hatte nachts ein wenig gefroren, aber die ersten Strahlen der tief stehenden Wintersonne fielen auf die Straße. Sie machte die Haustür auf, holte die Milch herein, brachte die beiden Flaschen in die Küche und stellte sie in den Kühlschrank. Sie räumte das Geschirr von gestern abend ab, stellte es in die Spülmaschine und deckte den Tisch zum Frühstück. Dann stellte sie die Kaffeemaschine an, holte Eier und Speck aus dem Kühlschrank und Cornflakes vom Regal. Sie ging in den Wohnbereich, um Gläser und Tassen abzuräumen, Kissen glattzustreichen, den Kamin anzustellen. Die Rosen, die er mitgebracht hatte, hatten angefangen, sich zu öffnen, und die äußeren Blütenblätter bogen sich wie flehende Hände von der noch fest geschlossenen inneren Blüte fort. Sie blieb stehen, um an ihnen zu riechen, aber die armen Dinger verströmten immer noch keinen Duft. Macht nichts, sagte sie zu ihnen, ihr seid trotzdem wunderschön. Ihr müßt euch eben damit begnügen, daß ihr gut ausseht.
Der Briefkastendeckel klapperte, und die Post fiel auf den Vorleger an der Haustür. Sie hatte sich schon umgedreht und war durch den halben Raum gegangen, um sie zu holen, als das Telefon klingelte, und sie hielt inne und nahm rasch ab, da sie nicht wollte, daß der Mann, der oben schlief, von dem Läuten geweckt wurde. »Hallo.«
Sie stand vor dem Spiegel, der über dem Kamin hing, und sah in ihr morgendlich nacktes Gesicht mit der dicken Haarsträhne über der Wange. Sie strich sie zurück, und sagte dann, da sich niemand gemeldet hatte, noch einmal: »Hallo?«
Es klickte und summte, und dann sagte eine weibliche Stimme: »Olivia?«
»Ja.«
»Olivia, ich bin's. Antonia.«
»Antonia?«
»Antonia Hamilton. Die Tochter von Cosmo.«
»Antonia!« Olivia setzte sich in die Sofaecke, zog die Beine hoch, drückte den Hörer fester ans Ohr. »Von wo sprichst du?«
»Von Ibiza.«
»Es hört sich an, als wärst du nebenan.«
»Ich weiß. Es ist Gott sei Dank eine gute Leitung.« Irgend etwas in der jungen Stimme ließ Olivia aufhorchen. Sie spürte, wie das Lächeln aus ihrem Gesicht schwand und ihre Finger sich um den glatten weißen Hörer krampften. »Ist etwas passiert?«
»Olivia. Ich hatte das Gefühl, daß ich es dir persönlich sagen muß. Ich fürchte, es ist eine traurige Nachricht. Mein Vater ist tot.«
Tot. Cosmo tot. »Tot.« Sie sagte das Wort, flüsterte es, aber sie wußte nicht, daß sie es sagte.
»Er ist Donnerstag am späten Abend gestorben. Im Krankenhaus. Die Beerdigung war gestern.«
»Aber.« Cosmo, tot. Es war unfaßlich. »Aber. wie? Warum?«
»Ich. ich kann es dir nicht sagen - nicht am Telefon.« Antonia ohne Cosmo in Ibiza. »Von wo rufst du an?«
»Von Pedros Café.«
»Wo wohnst du?«
»InCa’nD’alt.«
»Bist du allein dort?«
»Nein. Tomeu und Maria sind für ein paar Tage hergezogen, um mir Gesellschaft zu leisten. Sie waren so gut zu mir.«
»Aber. «
»Olivia, ich muß nach London kommen. Ich kann nicht hier
Weitere Kostenlose Bücher