Die Muschelsucher
Bankett bis auf die Fahrbahn reichten. Einige Farmer pflügten bereits, und Schwärme von Möwen folgten den Traktoren und den Reihen der frisch aufgeworfenen schwarzen Erdschollen. Sie kamen durch kleine Orte, in denen reges Samstagstreiben herrschte. Schmale Straßen waren mit den Autos von Familien gesäumt, die aus umliegenden Dörfern gekommen waren, um einzukaufen, und es wimmelte von Müttern mit Kindern und von fliegenden Händlern, und auf einigen Märkten waren Stände mit bunten Kleidungsstücken, Plastikspielzeug, Luftballons, Blumen und Obst und Gemüse. Dann kamen sie durch ein Dorf, vor dessen Pub sich Fuchs Jäger und ihre Meute zur Jagd sammelten. Hufe klapperten auf dem alten Kopfsteinpflaster, und sie hörten die fröhlichen Stimmen der rotberockten Männer. Hank konnte sein Glück kaum fassen.
»Sieh dir das an!« sagte er ein über das andere Mal, und er hätte am liebsten gehalten und zugeschaut, aber ein junger Polizist winkte sie streng weiter. Er folgte der Anweisung widerwillig und blickte sich noch einmal zu der typisch englischen Szene um, um sich alles einzuprägen. »Es ist wie im Film, mit diesem alten Wirtshaus und dem gepflasterten Hof. Ich wünschte, ich hätte meinen Fotoapparat dabei.« Olivia freute sich mit ihm. »Du kannst nicht sagen, daß ich dir nichts zeige. Wenn wir nach Kent oder Sissinghurst gefahren wären, hätten wir so etwas bestimmt nicht gesehen.«
»Heute scheint mein Glückstag zu sein.«
Vor ihnen lagen nun die Cotswold Hills. Die Straße wurde schmaler, führte über kleine Steinbrücken und wand sich zwischen sumpfigen Wiesen hindurch. Häuser und Farmen aus honiggelbem Cotswoldstein leuchteten im Sonnenlicht wie Gold, und Olivia dachte daran, daß die Gärten in wenigen Monaten eine einzige Farbenpracht sein würden und daß die Pflaumen- und Apfelbäume auf den Obstwiesen bald ihre leuchtenden weißrosa Blüten entfalten würden.
»Ich kann verstehen, warum deine Mutter sich diese Gegend ausgesucht hat. Ich habe noch nie eine so schöne Landschaft gesehen. Und alles ist so wunderbar grün.«
»Eigentlich ist sie gar nicht wegen der Landschaft hierher gezogen. Als sie das Haus in London verkaufte, wollte sie unbedingt wieder nach Cornwall gehen. Sie ist dort aufgewachsen, und ich glaube, sie sehnte sich nach ihrer Heimat. Aber meine Schwester fand, daß es zu weit fort sein würde, zu weit fort von ihren Kindern. Sie sah sich nach einem Haus für sie um und fand eines, das genau richtig war. Wie sich inzwischen gezeigt hat, war es vielleicht besser so, aber damals war ich böse, daß Nancy sich einmischte.«
»Lebt deine Mutter allein?«
»Ja. Das scheint aber ein Problem zu werden. Ihr Arzt sagt, sie sollte jemanden ins Haus nehmen, eine Haushälterin oder Gesellschafterin, aber ich weiß, daß sie es nicht ertragen würde. Sie ist unglaublich selbständig, und außerdem ist sie noch relativ jung. Erst vierundsechzig. Ich finde, es wäre eine Beleidigung für ihre Intelligenz, wenn wir auf einmal anfingen, sie wie eine hilflose Greisin zu behandeln. Sie ist nämlich alles andere als das. Sie beschäftigt sich von morgens bis abends, sie kocht und macht den Garten und lädt Leute ein und liest alles, was sie in die Hände bekommt, und hört Musik und ruft Freunde an und führt lange Gespräche mit ihnen, die ihr viel geben. Manchmal reist sie auch ins Ausland, um alte Freunde zu besuchen. Meist nach Frankreich. Ihr Vater war Maler, und sie hat als kleines Mädchen ein paar Jahre in Paris gelebt.« Sie wandte den Kopf und lächelte Hank an. »Warum erzähle ich dir bloß soviel über meine Mutter? Es dauert nicht mehr lange, bis du sie siehst und selbst alles herausfinden kannst.«
»Hat Ibiza ihr gefallen?«
»Sie fand es himmlisch. Cosmos Haus war ein altes Bauernhaus, ein paar Kilometer von der Küste entfernt in den Hügeln. Sehr ländlich. Genau das, was meine Mutter mag. Sie verschwand in jedem freien Augenblick mit einer Baumschere oder was auch immer in den Garten, genau wie bei sich zu Haus.«
»Kennt sie Antonia?«
»Ja. Sie und Antonia waren gleichzeitig da. Sie sind sehr gute Freundinnen geworden. Der Altersunterschied spielte überhaupt keine Rolle. Sie kommt wunderbar mit jungen Leuten zurecht. Viel besser, als ich es jemals könnte.« Sie hielt einen Moment inne, um dann in einer impulsiven Anwandlung von Ehrlichkeit fortzufahren: »Sogar jetzt bin ich mir nicht sehr sicher. Ich meine, ich möchte Cosmos Tochter helfen, aber ich freue
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