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Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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Leinentuch, Kristall und Silber gedeckten Tisch mit dem Liliengesteck in der Mitte. Die Beleuchtung war hell genug, um die kobaltblaue, von oben bis unten mit gerahmten Fotografien bedeckte Wand zu erkennen, und seine Aufmerksamkeit war sofort abgelenkt.
    »He, seht euch das an. Tolle Idee.«
    »Familienfotos sind immer ein Problem für mich. Ich weiß nicht, wo ich sie hinstellen soll, und deshalb habe ich mich einfach entschlossen, die Wand damit zu tapezieren.«
    Sie trat hinter die Arbeitstheke und holte die Gänseleberpastete und braunes Brot, während er ihr den Rücken wandte und die Fotos mit dem aufmerksamen Interesse eines Galeriebesuchers betrachtete.
    »Wer ist das hübsche Mädchen hier?«
    »Das ist meine Schwester, Nancy.«
    »Sie sieht toll aus.«
    »Sie sah toll aus«, verbesserte Olivia. »Sie hat nicht auf sich geachtet, wie man so sagt. Sie wissen schon, sie hat zugenommen und kein bißchen auf ihr Äußeres aufgepaßt. Aber als junges Mädchen war sie wirklich wunderhübsch. Das Bild ist kurz vor ihrer Hochzeit gemacht worden.«
    »Wo lebt sie?«
    »In Gloucestershire. Sie hat zwei unausstehliche Kinder und einen Mann, den ich schrecklich langweilig finde, und ihr größtes Vergnügen besteht darin, mit zwei Labradors an der Leine an einer Schnitzeljagd teilzunehmen und ihre Freunde über die Felder hinweg zu begrüßen.« Er drehte sich zu ihr um, sah sie stirnrunzelnd an, und sie lachte. »Sie wissen nicht einmal, wovon ich rede, stimmt’s?«
    »Ja, aber ich kann es mir ungefähr vorstellen.« Er wandte sich wieder den Fotografien zu. »Und wer ist diese attraktive Dame?«
    »Das ist meine Mutter.«
    »Haben Sie kein Bild von Ihrem Vater?«
    »Nein, er ist tot. Aber das da ist mein Bruder Noel. Der gutaussehende junge Mann mit den blauen Augen.«
    »Er sieht tatsächlich gut aus. Ist er verheiratet?«
    »Nein. Er ist jetzt fast dreißig und immer noch Junggeselle.«
    »Hat er keine Freundin?«
    »Ja, aber sie wohnen nicht zusammen. Er hat noch nie mit einem Mädchen zusammen gewohnt. Er hat eine panische Angst davor, sich zu binden. In jeder Hinsicht. Sie wissen schon, er gehört zu denen, die am liebsten keine Einladung annehmen würden, weil sich bis dahin ja etwas noch Besseres bieten könnte.« Hank lachte leise und seine Schultern zuckten. »Sie reden nicht sehr nett über Ihre Familie.«
    »Ich weiß. Aber was für einen Sinn hat es, sich etwas vorzumachen, besonders in meinem Alter?«
    Sie trat hinter der Theke hervor und stellte die Pastete und Brot und Butter auf den Tisch. Sie holte Streichhölzer und zündete die Kerzen an.
    »Und wer ist das?«
    »Wen meinen Sie?«
    »Dieser Herr, mit dem kleinen Mädchen.«
    »Oh.« Sie trat zu ihm und betrachtete das Foto. »Das ist Cosmo Hamilton. Und das Mädchen ist seine Tochter Antonia.«
    »Ein niedliches Ding.«
    »Ich habe es vor fünf Jahren aufgenommen. Sie muß jetzt achtzehn sein.«
    »Verwandte von Ihnen?«
    »Nein. Er ist ein Freund. Er war ein Freund. Genauer gesagt ein Liebhaber. Er hat ein Haus auf Ibiza, und vor fünf Jahren habe ich ein Jahr lang nicht gearbeitet. Ich habe mir ein Sabbatical genommen und dort mit ihm gelebt.«
    Hank zog die Augenbrauen hoch. »Ein Jahr. Das ist eine lange Zeit, um mit einem, hm, einem Liebhaber zusammenzuleben.«
    »Es verging sehr schnell.«
    Sie spürte seinen Blick. »Haben Sie ihn sehr gemocht?« fragte er. »Ja. Mehr als irgend jemanden.«
    »Warum haben Sie ihn nicht geheiratet? Oder war er vielleicht schon verheiratet?«
    »Nein, er war geschieden. Ich wollte ihn nicht heiraten, weil ich niemanden heiraten wollte. Auch jetzt noch nicht.«
    »Sehen Sie ihn noch?«
    »Nein. Ich habe ihm Lebewohl gesagt, und das war das Ende der Geschichte.«
    »Und die Tochter, Antonia?«
    »Ich weiß nicht, was aus ihr geworden ist.«
    »Schreiben Sie?«
    Olivia zuckte mit den Schultern. »Ich schicke ihm zu Weihnachten eine Karte. Wir hatten es damals so vereinbart. Jedes Jahr zu Weihnachten eine Karte mit verschneiten Tannen.«
    »Das klingt nicht sehr großzügig.«
    »Sie haben recht, das tut es nicht. Aber Sie können es wahrscheinlich nicht verstehen. Das wichtige ist, daß Cosmo es versteht.« Sie lächelte. »Wenn Sie nun keine Fragen mehr über meine Familie und meine Freunde haben, könnten Sie vielleicht den Wein einschenken, und dann essen wir. Ich habe allmählich Hunger.«
    Er sagte: »Morgen ist Sonnabend. Was machen Sie normalerweise am Sonnabend?«
    »Manchmal fahre ich übers Wochenende

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