Die Muschelsucher
Verkehr eine Katastrophe. Übrigens, Ma, weißt du zufällig, ob mein Squash-Schläger oben in meinem Zimmer ist? Ich habe mich zu einer Partie verabredet und kann ihn bei mir nicht finden.«
»Ich weiß nicht«, sagte Penelope voll Erleichterung, daß er das Thema gewechselt hatte. Sein kleines Zimmer in Podmore’s Thatch war voll von Umzugskisten und Koffern und allen erdenklichen Sportutensilien, doch er blieb fast nie über Nacht hier, so daß sie keinen Grund sah, es öfter als unbedingt nötig zu betreten, und auch nicht genau wußte, was alles dort war. »Warum gehst du nicht hoch und siehst selbst nach?«
»Das werde ich.« Er stand vorsichtig auf, um sich nicht die Knie zu stoßen, und sagte: »Ich bin gleich wieder da.« Dann verließ er das Zimmer. Sie hörten seine Schritte auf der Treppe. Amabel saß da, unterdrückte wieder ein Gähnen und sah aus wie eine gestrandete Meerjungfrau.
»Kennen Sie Noel schon lange?« fragte Penelope und konnte es nicht ändern, daß sie so töricht und konventionell daherredete. »Ungefähr drei Monate.«
»Wohnen Sie in London?«
»Meine Eltern leben in Leicestershire, aber ich habe eine Wohnung in der Stadt.«
»Arbeiten Sie?«
»Nur wenn ich muß.«
»Möchten Sie vielleicht noch eine Tasse?«
»Nein, aber ich hätte gern noch ein Stück Kuchen.« Penelope gab ihr eines. Amabel aß es. Penelope fragte sich, ob sie es bemerken würde, wenn sie, Penelope, jetzt einfach eine Zeitung nähme und anfange zu lesen. Sie dachte, wie reizend junge Leute doch manchmal sein konnten, und wie reizlos es war, daß Amabel immerfort mit offenem Mund kaute.
Schließlich gab sie jede weitere Bemühung um höfliche Konversation auf, stellte das Geschirr aufs Tablett zurück und ging damit in die Küche, während Amabel im Begriff zu sein schien, den verlorenen Schlaf von gestern nachzuholen. Als sie die Tassen und die Untertassen gespült hatte, war Noel noch nicht wieder erschienen. Vermutlich suchte er immer noch jenen schwer auffindbaren Squash-Schläger. Sie dachte, sie könnte ihm vielleicht helfen, und ging die Küchentreppe hoch und durch die anderen Schlafzimmer zu dem Ende des Hauses, wo sein Zimmer war. Die Tür stand offen, aber er war nicht drinnen. Sie zögerte verwirrt, und dann hörte sie über sich leise, behutsame Schritte. Der Dachboden? Was machte er auf dem Dachboden?
Sie blickte hinauf. Die alte Stiege führte zu der quadratischen Luke in der Decke. »Noel?«
Einen Augenblick später sah sie ihn, zuerst die Beine und dann den Rest, vorsichtig die Stiege herunterklettern. »Was hast du denn da oben gemacht?« Er kam die letzte Sprosse herunter. Auf seinem Jackett waren Staubflusen, und in seinem Haar hing ein Stück von einem Spinnennetz.
»Ich hab den blöden Schläger nicht finden können«, antwortete er. »Ich habe gedacht, er sei vielleicht oben auf dem Speicher.«
»Das ist unmöglich. Da oben sind nur alte Sachen aus der Oakley Street.«
Er lachte und klopfte sich den Staub vom Jackett. »Das kannst du noch mal sagen.«
»Du kannst nicht sehr gründlich gesucht haben.« Sie ging in das vollgestellte kleine Zimmer, räumte einige Windjacken und zwei Knieschützer beiseite und fand darunter sofort den Squash-Schläger. »Da ist er ja. Hast du keine Augen im Kopf? Aber du hast schon als kleiner Junge Schwierigkeiten gehabt, etwas wiederzufinden, was du verlegt hattest.«
»Oh, verdammt. Entschuldige. Vielen Dank.« Er nahm ihn ihr ab. Sie sah ihn an, aber er machte ein vollkommen harmloses Gesicht.
Sie sagte: »Amabel hat den Mantel deines Großvaters an. Wann hast du ihn mitgenommen?«
Selbst das brachte ihn nicht aus der Fassung. »Beim Umzug. Ich konnte einfach nicht widerstehen. Du hast ihn nie getragen, und es ist ein Prachtstück.«
»Du hättest mich fragen sollen.«
»Ich weiß. Möchtest du ihn wiederhaben?«
»Natürlich nicht. Du kannst ihn behalten.« Sie dachte daran, daß Amabel sich gleich wieder in das einstmals luxuriöse Kleidungsstück hüllen würde, und nach ihr würden es sicher noch viele andere Mädchen tun. »Ich bin sicher, du wirst viel bessere Verwendung dafür haben als ich.«
Als sie nach unten kamen, war Amabel eingeschlafen. Noel weckte sie, und sie rappelte sich gähnend auf, ohne die Augen richtig zu öffnen, und dann half er ihr in den Mantel, gab seiner Mutter zum Abschied einen Kuß und fuhr mit seiner Freundin fort. Als Penelope den Wagen nicht mehr sehen konnte, ging sie ins Haus zurück. Sie machte die
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