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Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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Bürste zu Berge standen. Sie waren mit der Eisenbahn von Hackney gekommen. Sie waren vorher nie weiter als bis Southend gereist, und ihre Mutter hatte ihnen für den Fall, daß sie unterwegs verlorengingen, Gepäckanhänger mit ihrem Namen und ihrer neuen Adresse an die schäbigen Jacken gebunden.
    Die Ankunft der Potters machte dem friedlichen und geregelten Leben in Cam Cottage ein Ende. Binnen zwei Tagen hatten Ronald und Clark eine Fensterscheibe zerbrochen, ihre Betten naß gemacht, alle Blumen von Sophies Rabatten gepflückt, unreife Äpfel gegessen, sich übergeben und den Geräteschuppen angezündet. Er war restlos abgebrannt.
    Lawrence reagierte mit stoischer Gelassenheit auf den Brand und bemerkte nur, es sei ein Jammer, daß sie nicht im Schuppen gewesen seien.
    Gleichzeitig waren sie jedoch rührend ängstlich. Sie mochten das Land nicht, und das Meer war zu groß, und sie hatten Angst vor Kühen und Hühnern und Enten und Kellerasseln. Sie fürchteten sich auch davor, in der Bodenkammer zu schlafen, aber das kam daher, daß sie darum wetteiferten, einander mit Gespenstergeschichten angst zu machen.
    Die Mahlzeiten waren ein Alptraum, nicht, weil es zu wenig Gesprächsstoff gab, sondern weil Ronald und Clark nicht die einfachsten Tischmanieren hatten. Sie aßen mit offenem Mund, tranken mit vollem Mund, langten quer über den Tisch nach der Butter und stießen die Wasserkaraffe um, zankten und schlugen sich und weigerten sich kategorisch, Sophies schönes Gemüse und ihren leckeren Pudding zu essen. Dazu kam der fortwährende Lärm. Die simpelsten Dinge wurden von Freudenschreien, wütenden und empörten Ausrufen oder Beleidigungen begleitet. Doris war nicht besser als ihre Jungen. Sie redete nur in höchster Lautstärke mit ihnen.
    »Was machst du da, du schmutziger Flegel? Wenn du das noch mal machst, haue ich dich windelweich! Guck dir bloß mal deine Hände und deine Knie an. Wann hast du dich das letzte Mal gewaschen? Du kleiner Schmutzfink!«
    Penelope zuckte immer wieder zusammen, wenn sie das Geschrei und Krakeelen hörte, aber sie wurde sich zweier Dinge bewußt. Das eine war, daß Doris auf ihre unbeholfene und ordinäre Art eine gute Mutter war und ihre mageren kleinen Sprößlinge von Herzen liebte. Das andere war, daß sie die beiden einfach deshalb anschrie, weil sie sie in der Straße in Hackney, wo sie geboren und aufgewachsen waren, von Anfang an angeschrien hatte und weil sie wahrscheinlich von ihrer eigenen Mutter genauso angeschrien worden war. Sie wußte einfach nicht, daß man es auch anders machen konnte. Deshalb überraschte es auch nicht weiter, daß Ronald und Clark nie kamen, wenn sie sie rief. Statt die beiden zu suchen, hob sie ihre Stimme dann einfach um eine Oktave und schrie wieder.
    Schließlich konnte Lawrence es nicht mehr ertragen und erklärte Sophie, wenn die Potters nicht etwas ruhiger würden, müßte er seine Siebensachen packen und ins Atelier ziehen. Es war ihm ernst, und außer sich vor Zorn, durch ihre Nächstenliebe in eine solche Situation gebracht worden zu sein, stürmte Sophie in die Küche und machte Doris eine Szene.
    »Warum schreien Sie sie von morgens bis abends an?« Wenn sie außer Fassung war, wurde ihr Akzent stärker als sonst, und nun war sie so wütend, daß sie wie eine Fischfrau aus Marseille keifte. »Ihre Kinder sind nur um die Ecke. Sie brauchen nicht zu schreien. Mon Dieu, dies ist ein kleines Haus, und Sie machen uns alle verrückt! «
    Doris war entrüstet, aber sie besaß genug gesunden Menschenverstand, um nicht beleidigt zu sein. Sie war ein gutherziges Mädchen, und sie war nicht dumm. Sie wußte, daß sie und ihre beiden Jungen es bei den Sterns sehr gut getroffen hatten. Sie hatte ein paar deprimierende Geschichten von anderen evakuierten Familien gehört, und sie wollte nicht zu einer hochnäsigen alten Kuh geschickt werden, die sie wie ein Hausmädchen behandeln und in der Küche wohnen lassen würde.
    »Tut mir leid«, sagte sie leichthin und lächelte breit. »Ich nehme an, es ist einfach so meine Art.«
    »Und Ihre Kinder...« Sophies Zorn legte sich langsam, aber sie beschloß, das Eisen zu schmieden, solange es heiß war. »Sie müssen endlich Manieren lernen. Wenn Sie sie ihnen nicht beibringen können, tue ich es. Und sie müssen lernen, das zu tun, was ihnen gesagt wird. Wenn Sie normal mit ihnen reden, werden sie es tun. Sie sind nicht taub, aber wenn Sie so weiter schreien, werden sie es eines Tages sein.«
    Doris

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