Die Muschelsucher
zuckte die Achseln. »Meinetwegen«, sagte sie treuherzig. »Wir werden uns alle drei Mühe geben. Übrigens, was ist mit den Kartoffeln fürs Abendessen? Soll ich sie für Sie schälen?« Danach wurde es besser. Der Krach ließ nach, und von Sophie und Penelope in die Lehre genommen, lernten die Jungen bitte und danke zu sagen, mit geschlossenem Mund zu essen und um Salz und Pfeffer zu bitten. Etwas von alldem färbte sogar auf Doris ab, und sie versuchte, sich damenhaft zu benehmen, indem sie den kleinen Finger abspreizte, wenn sie die Teetasse zum Mund führte, und die Mundwinkel nach dem Essen mit der Serviette abtupfte. Penelope nahm die Jungen mit an den Strand und zeigte ihnen, wie man eine Sandburg baut, und sie wurden so mutig, daß sie eines Tages im Wasser planschten. Dann fing die Schule an, und sie waren die meiste Zeit des Tages außer Haus. Doris, die gedacht hatte, Suppen müßten immer aus einer Dose kommen, lernte ein bißchen kochen und half bei der Hausarbeit. Eine neue Routine entwickelte sich. Es würde nie wieder sein wie vorher, aber jetzt war es wenigstens erträglich.
Im ersten Stock des Hauses in der Oakley Street wohnten Peter und Elizabeth Clifford. Andere Untermieter kamen und gingen, aber sie wohnten nun schon fünfzehn Jahre dort und waren in dieser Zeit die engsten Freunde der Sterns geworden. Peter war jetzt siebzig Jahre alt. Er war Doktor der Psychologie, hatte in Wien bei Freud studiert und seine Laufbahn als ordentlicher Professor eines der großen Londoner Universitätskrankenhäuser beendet. Er hörte auch im Ruhestand nicht auf zu arbeiten und kehrte jedes Jahr einmal nach Wien zurück, um Gastvorlesungen an der dortigen Universität zu halten.
Sie hatten keine Kinder, und seine Frau hatte ihn jedesmal nach Wien begleitet. Elizabeth war nur wenige Jahre jünger als ihr Mann und in ihrem Fach ebenso erfolgreich. Sie war vor ihrer Ehe viel gereist, hatte in Deutschland und Frankreich studiert und dann einige Romane mit weitgehend politischem Inhalt und eine Reihe von Aufsätzen und Essays geschrieben, deren klarer Stil und meisterlicher Aufbau ihr internationales Ansehen verschafft hatten.
Die Cliffords machten Lawrence und Sophie zum erstenmal auf die unmenschlichen Dinge aufmerksam, die in Deutschland geschahen. Sie saßen bis lange in die Nacht bei Kaffee und Cognac mit ihnen zusammen, nachdem Sophie die Vorhänge zugezogen hatte, und aus ihren leisen Stimmen sprachen Angst und Sorge. Sie redeten aber nur mit ihnen. Was die Außenwelt anbetraf, blieben sie zurückhaltend und behielten ihre Meinung für sich. Viele ihrer Freunde in Österreich und Deutschland waren Juden, und Peters Lehrauftrag in Wien war eine gute Tarnung für ihre private Arbeit im Untergrund.
Sie stellten unter erheblichem Risiko für sich selbst Verbindungen her, besorgten Pässe, erledigten Reisevorbereitungen und liehen Geld. Ihrem Mut und Unternehmungsgeist war es zu verdanken, daß viele jüdische Familien das Land verlassen und in England Zuflucht suchen oder nach Amerika Weiterreisen konnten. Da sie für ihren Besitz nur eine lächerliche Abfindung bekamen, trafen sie alle mehr oder weniger mittellos ein, aber sie waren wenigstens in Sicherheit. Die Cliffords setzten ihre gefährliche Arbeit bis 1938 fort, dann teilte das neue Regime ihnen mit, daß ihr Aufenthalt nicht mehr erwünscht sei. Irgend jemand hatte geredet. Sie waren verdächtig und bekamen Einreiseverbot. Anfang Januar 1940 hielten Lawrence, Sophie und Penelope einen Familienrat. Da Doris und ihre Jungen nun in Cam Cottage wohnten und voraussichtlich den ganzen Krieg über dort bleiben würden, meinten sie alle drei, daß es nicht in Frage komme, in die Oaklay Street zurückzukehren. Aber Sophie wollte ihr Londoner Heim nicht den Winter über leer stehen lassen, ohne nach dem rechten gesehen zu haben. Sie war ein halbes Jahr nicht mehr dort gewesen, und sie mußte mit den Untermietern sprechen, sie mußte Verdunkelungsvorhänge für das Souterrain nähen, Bestandsaufnahme der Vorräte machen und jemanden auftreiben, der bereit war, sich um den Garten zu kümmern. Außerdem wollte sie ihre Wintersachen holen, denn es war inzwischen bitterkalt geworden, und in Cam Cottage gab es keine Zentralheizung. Und sie wollte die Cliffords sehen.
Lawrence fand die Idee großartig. Abgesehen von allem anderen machte er sich Sorgen um Die Muschelsucher. Er fürchtete, daß das Haus und mit ihm das Bild von einer Bombe beschädigt werden könnten,
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