Die Muschelsucher
mußt entschuldigen, daß ich so eigenmächtig war, aber sie haben mir so furchtbar leid getan, und ich bin sicher, daß sie gute Mieter sein werden.«
»Aber natürlich. Du hast genau das richtige getan. Ich freue mich.« Sophie lächelte liebevoll. Elizabeth würde nie aufhören, Menschen zu helfen, die unverschuldet in Not geraten waren. »Wie heißen sie?«
»Friedmann. Willi und Lalla. Ich möchte, daß du sie bald kennenlernst. Vielleicht noch heute abend? Sie kommen nachher zum Kaffee herunter, und es wäre schön, wenn ihr beide nach dem Essen auch kommen könntet. Natürlich erst dann, wenn ihr mit dem Auspacken fertig seid. Peter kann es kaum erwarten, euch zu sehen. Wir werden eine Menge zu reden haben. Wie in den guten alten Tagen.«
Während sie sprach, strahlte sie eine Begeisterung aus, die ansteckend wirkte. Es war einer ihrer liebenswertesten Züge. Sie änderte sich nie. Ihre Augen blickten wach und intelligent wie immer aus ihrem sympathischen, von Falten durchzogenen Gesicht, und ihr dichtes graues Haar war zu einem Knoten gesteckt, der, nur von wenigen schwarzen Nadeln gehalten, bedrohlich auf und ab wippte. Ihre Kleidung war altmodisch, aber zeitlos, und sie trug viele Ringe an ihren Fingern, deren Gelenke stark geschwollen waren.
»Wir kommen sehr gern«, antwortete Sophie. »Gegen neun Uhr? Ich freue mich.«
Sie gingen nach dem Essen hinauf und fanden die Friedmanns in dem altmodisch eingerichteten Salon am brennenden Gasofen sitzen. Sie waren sehr jung und sehr höflich und wohlerzogen. Beide erhoben sich sofort, um sich vorstellen zu lassen. Aber Penelope hatte den Eindruck, daß sie zugleich alt wirkten. Sie hatten eine ergebene Bescheidenheit an sich, die an Demut grenzte und nichts mit den Lebensjahren zu tun hatte, und als sie lächelten und guten Abend sagten, lächelten ihre Augen nicht mit. Zuerst ging alles sehr gut. Man tauschte belanglose Nettigkeiten aus, und Sophie und Penelope erfuhren, daß Willi Friedmann in München Jura studiert hatte und von Übersetzungen für einen Londoner Verlag lebte. Lalla gab Klavierunterricht. Sie war sehr blaß, aber auf eine sonderbare, schwer zu definierende Weise sehr schön und saß still und gefaßt da, während ihr Mann fortwährend die Hände bewegte. Er rauchte eine Zigarette nach der anderen und schien nur mit Mühe stillsitzen zu können.
Er war seit einem Jahr in England, doch Penelope, die ihn verstohlen beobachtete, hatte den Eindruck, daß er aussah, als wäre er erst vor ganz kurzer Zeit geflohen. Sie empfand Mitleid mit ihm und versuchte sich vorzustellen, wie er mit der Herausforderung fertig wurde, sich in einem fremden Land, getrennt von seinen Freunden und Kollegen, eine Zukunft zu schaffen und seinen Lebensunterhalt mit einer Arbeit zu verdienen, die weder seinen Interessen noch seinen Anlagen entsprechen konnte.
Und er hatte sicher Angst um Angehörige und Freunde, die in Deutschland geblieben waren. Sie stellte sich vor, daß das Schicksal seines Vaters, seiner Mutter, seiner Brüder und Schwestern vielleicht in eben diesem Augenblick durch eine amtliche Vorladung besiegelt wurde. Ein Läuten an der Tür, ein heftiges Klopfen, das die Stille der Nacht unterbrach und die schrecklichsten Ahnungen bestätigte.
Elizabeth ging in die kleine Küche, um ein Tablett mit Tassen und heißem Kaffee und ein wenig Gebäck zu holen. Peter nahm eine Flasche Cordon Bleu und winzige farbige Gläser aus der Vitrine, verteilte die Gläser und schenkte ein. Sophie wandte sich zu Willi und sagte lächelnd: »Ich freue mich, daß Sie nun hier bei uns wohnen. Ich hoffe, Sie werden sich wohl fühlen. Es tut mir nur leid, daß wir nicht auch da sein werden, wir müssen nämlich zurück nach Cornwall. Aber wir werden das Souterrain nicht vermieten. Wenn wir nach London kommen und euch alle sehen wollen, möchten wir in unserem eigenen Zuhause schlafen. Wenn die Luftangriffe anfangen, müßt ihr aber alle hinuntergehen und das Souterrain als Luftschutzkeller benutzen.«
Es war ein vernünftiger Vorschlag, der genau zur rechten Zeit kam. Bisher hatte es erst wenige Male Luftalarm gegeben, und die Entwarnung war immer so kurz danach gekommen, daß die Leute nicht einmal Zeit gehabt hatten, ihre Wohnungen zu verlassen. Aber jedermann war vorbereitet. London hatte sich mit Sandsäcken verschanzt, in den Parks waren Gräben ausgehoben worden, in denen man vor Bomben Schutz suchen konnte, und man hatte Wassertanks gebaut und mit Notvorräten
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