Die Muschelsucher
Gassen in Porthkerris. Lawrence und Sophie waren schon lange gestorben, wie auch die Cliffords, Cam Cottage gehörte längst anderen Leuten, und inzwischen hatte sie auch das Haus in der Oakley Street an andere verkauft, und sie lebte hier in Gloucestershire, in Podmore’s Thatch, ihrem neuen alten Haus. Sie war - und dies war einer jener Augenblicke, in denen die Erkenntnis sie traf wie ein Keulenschlag, als hätten die Jahre sich eingekapselt, um ihr urplötzlich einen grausamen Streich zu spielen - nicht mehr neunzehn, sondern vierundsechzig. Nicht einmal mehr in den besten Jahren, sondern eine ältere Frau. Eine ältere Frau mit einem idiotischen kleinen Herzflattern, das sie ins Krankenhaus gebracht hatte. Eine ältere Frau mit drei erwachsenen Kindern und einigen Menschen, die neu in ihr Leben getreten waren, und alle hielten sie mit ihren Problemen in Atem. Nancy, Olivia und Noel. Und natürlich Antonia Hamilton, die eine Zeitlang zu ihr kommen würde. wann würde sie eintreffen? Ende nächster Woche? Nein, Ende dieser Woche. Heute war nämlich Montag. Montag morgen. Mrs. Plackett kam jeden Montagmorgen mit ihrem uralten Tourenrad, auf dem sie hochaufgerichtet thronte, von Pudley zu ihr. Und der Gärtner. Heute fing der neue Gärtner an - er wollte um halb neun kommen.
Das veranlaßte sie mehr als alles andere, in Schwung zu kommen. Sie knipste die Nachttischlampe an und sah auf den Wecker. Halb acht. Es war wichtig, daß sie aufstand und sich anzog, damit sie sich im Haus zu schaffen machen konnte, ehe der Gärtner eintraf, denn sonst würde er denken, er arbeite für eine faule alte Person. Faule Herren, faule Diener. Von wem hatte sie die alte Redensart so oft gehört? Natürlich, von ihrer Schwiegermutter. Dolly Keeling. Von wem sonst? Sie meinte zu hören, wie sie es sagte, während sie mit den Fingern den Kaminsims entlangfuhr, um zu sehen, ob er staubig war, oder das Laken zur Hälfte von ihrer Matratze zog, damit das Mädchen, das schon lange unter ihr gelitten hatte, es auch ja gründlich machte. Arme Dolly. Auch sie war nun schon lange gestorben, nachdem sie, bis zum letzten Augenblick, einen Anschein von Vornehmheit gewahrt hatte, aber sie hatte keine Leere hinterlassen. Was traurig war.
Halb acht. Keine Zeit für Erinnerungen an Dolly Keeling, die sie ohnehin nie gemocht hatte. Penelope stand auf. Eine Stunde später war sie gebadet und angezogen, hatte alle Türen aufgesperrt und gefrühstückt. Starker Kaffee, ein gekochtes Ei, Toast mit Honig. Sie saß bei der zweiten Tasse Kaffee und spitzte die Ohren, ob sich ein Auto näherte. Sie hatte noch nie etwas mit dieser Gärtnerei zu tun gehabt, aber sie wußte, daß sie ihre Leute in kleinen grünen Transportern mit der weißen Aufschrift AUTO GARDEN schickte. Sie hatte sie bei der Arbeit beobachtet, und sie schienen sehr schnell und tüchtig zu sein. Sie hatte ein wenig Angst. Sie hatte noch nie einen Gärtner beschäftigt und hoffte, er würde weder griesgrämig und mürrisch noch schulmeisterlich sein. Sie mußte ihn von Anfang an unmißverständlich darauf hinweisen, daß er, ohne ihre ausdrückliche Erlaubnis, nichts ausputzen und zurückschneiden durfte. Sie würde ihn zuerst etwas Einfaches tun lassen, bei dem er nichts falsch machen konnte. Die Weißdornhecke am Ende der Obstwiese. Er könnte sie schneiden. Er würde sicher mit der kleinen Kettensäge umgehen können. War in der Garage noch genug Benzin für den Motor? Sollte sie hingehen und nachsehen, solange sie noch Zeit hatte, rasch ins Dorf zu fahren und neues zu holen?
Sie hatte keine Zeit mehr, denn in diesem Augenblick wurden ihre besorgten Überlegungen durch das unerwartete Geräusch von Schritten auf dem Kiesweg zum Haus unterbrochen. Penelope stellte die Tasse hin, stand auf und blickte zum Fenster. Sie sah ihn durch das kalte Morgenlicht auf sich zukommen. Ein großgewachsener junger Mann in einer khakifarbenen Öljacke und Jeans, die unten in schwarze Gummistiefel gesteckt waren. Er war barhäuptig und dunkelblond. Während sie ihn beobachtete, blieb er kurz stehen und sah sich um, wohl um festzustellen, ob er an der richtigen Adresse war. Sie sah den Winkel seiner Schultern, die Form seines Kopfes, seine Kinnpartie. Als sie gesehen hatte, wie ihr Sohn Noel gestern über den Rasen gekommen war, hatte ihr Herz einen Schlag ausgesetzt, und nun passierte diese beängstigende Sache wieder. Sie stützte sich mit der Hand auf den Tisch und schloß die Augen. Sie atmete tief ein.
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