Die Muse des Mörders (German Edition)
Blumengesteck, das auf hoher See schwamm.
Sie stellte sich vor, wie sie die ganze Trauergemeinde in einen Bus setzte und an die Adria karrte und was Paul dazu sagen würde, wenn er sie sehen könnte. Ein Lächeln huschte über ihre Lippen. Ein solcher Affentanz würde ihn zumindest amüsieren.
Der Bestatter fühlte sich jetzt, seit er ihr nichts mehr verkaufen musste, das ihn selbst nicht überzeugte, sichtlich wohler und war ganz in seinem Element. Routiniert ließ er sich alle wichtigen Dokumente von ihr aushändigen und stellte ein paar persönliche Fragen für die Trauerrede. Hobbys, Lieblingslied, besondere Erlebnisse. Madeleine musste schlucken. Hoffentlich würde er nicht nach Versäumnissen fragen oder nach unerfüllten Wünschen. Sie verbannte die düsteren Gedanken und verschloss sie hinter einer Tür in ihrem Kopf, die sie erst wieder öffnen würde, wenn sie ihre Ruhe hatte und nachdenken konnte.
»Wie sieht es eigentlich mit Ihrer eigenen Beerdigung aus? Haben Sie sich darüber schon einmal Gedanken gemacht?«
Sie blickte auf und strich sich eine Strähne ihrer weißen Haare hinters Ohr.
»Die Himmelspirale ist auch für mich keine Option, Herr Baumgartner. Tut mir leid.«
Er lachte leise, um seine Pikiertheit zu überspielen.
»Gut, aber es ist nie zu früh, um Vorkehrungen zu treffen. So ersparen Sie Ihren Angehörigen eine Menge Stress, wenn Sie einmal …«
»Ich habe nur einen Angehörigen und dem ist ein wenig Stress durchaus zumutbar.« Sie stand auf und zog ihre Jacke zurecht. »Bis ich einmal abtrete, sind Sie außerdem längst in Rente, mein Lieber.«
Damit ging sie zur Tür und ließ den verdutzten Baumgartner sitzen. Sie schätzte ihn auf keinen Tag älter als fünfundvierzig.
19.
»Warum isst du nicht?«
Marie sah auf ihren Teller und stellte fest, dass sie tatsächlich kaum etwas gegessen hatte. Sie versah ihren Vater mit einem flüchtigen Lächeln und schob sich einen Löffel der mittlerweile kalten Suppe in den Mund.
»Was bedrückt dich? Du wirkst nachdenklich. Stimmt etwas nicht?«
»Doch, alles bestens.«
»Probleme in der Schule? Hattest du Streit? Bist du krank? Böse? Traurig?« Ihr Vater sah sie aus seinen durchdringenden Augen an. »Du verschließt dich, Marie, ich mache mir Sorgen.«
»Du weißt genau, warum ich böse auf dich bin.« Marie wollte wütend klingen oder zumindest gleichgültig, aber sie hörte sich nur verletzt an. Sie aß weiter und versuchte, ihren Vater zu ignorieren. Diskussionen wie diese waren nicht ihre Lieblingsbeschäftigung.
»Wegen diesem Oliver?«
Marie ließ den Löffel los, er fiel klappernd in den Teller.
»Nicht dieser Oliver, Papa. Sprich nicht immer so abwertend von ihm.«
»Also gut«, sagte er und seufzte. »Du bist immer noch böse wegen Oliver. Kannst du mich denn nicht verstehen?«
»Nein.«
»Kein bisschen?«
»Noch weniger. Jetzt lass mich essen.«
»Dieses Thema kann doch nicht immer zwischen uns stehen.«
»Wird es auch nicht.« Marie schluckte hart, rang sich dann erneut zu einem Lächeln durch und hoffte, dass er die Bemerkung anders auffasste, als sie gemeint war.
»Das beruhigt mich.« Er stand auf und nahm ihren Teller.
»He!«
»Keine Sorge.« Lachend trug er den Teller in die Küche. »Ich wärme sie nur für dich auf.«
Während ihr Vater mit der neu angeschafften Mikrowelle kämpfte, zog Marie ihr Handy aus der Tasche und warf einen Blick darauf. Es war bald neun. Zeit, sich aus der Gesellschaft ihres Vaters zu verabschieden.
»Papa, ich habe keinen Hunger mehr.« Sie stand auf, ohne ihm die Chance zu geben, zu protestieren.
»Wirklich nicht? Na schön.« Er lächelte ihr aus der Küche zu. »Gehst du schlafen?«
»Ja. Ich denke schon.«
»Dann schlaf schön. Ich kann dich morgen von der Schule abholen.«
Marie stockte.
»Gegen eins, wie immer?« Ihr Vater sah sie fragend an.
»Halb drei. Morgen ist Dienstag.« Ihre Stimme klang heiser. Verräterisch. Sie hatte Angst, dass er die Lüge hören konnte, ihr schlechtes Gewissen und ihre Unsicherheit, aber dem war nicht so. Ihr Vater wandte sich ab, um den Abwasch zu machen.
»Ja, richtig. Das werde ich mir nie merken können. Bis halb drei also.«
Marie trat die Flucht an. Sie fühlte sich schlecht bei dem Gedanken, dass sie sich nicht einmal von ihm würde verabschieden können. Sie hatte nie große Geheimnisse vor ihm gehabt und kam sich nun schuldig vor. Doch was war die Alternative? Oliver war ihre große
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