Die Muse des Mörders (German Edition)
Liebe und ein Leben ohne ihn war undenkbar. Mit ihrem Vater konnte sie nicht darüber reden, er wollte sie nicht verstehen, wollte nicht akzeptieren, dass sie erwachsen wurde und einen Freund hatte. Sie konnte aber auch nicht weitermachen wie bisher. Immer dieses Versteckspiel, diese Heimlichkeiten. Früher hatte ihr Vater Oliver gemocht. Als er ihn damals in seinem Betrieb angestellt hatte, war er so begeistert von ihm gewesen, dass er ihm sogar das kleine Zimmer auf dem Dachboden als Bleibe angeboten hatte. Doch dann war alles anders gekommen.
Wut nahm den Platz ihres schlechten Gewissens ein und sie fühlte sich gleich ein wenig besser. Ihr Vater hatte sich selbst zuzuschreiben, was heute Nacht geschehen würde. Sofort tat ihr der Gedanke leid.
20.
Hannahs Atem ging gleichmäßig und flach und sie hatte sich schon seit einer Weile nicht mehr gerührt. Trotzdem hatte Dominik Angst, sich zu bewegen. Er durfte sie unter keinen Umständen wecken. Deshalb wartete er noch weitere fünf Minuten, bevor er die Decke zurückschlug. Er verharrte, dann drehte er den Kopf wie in Zeitlupe zu ihr hinüber. Sie hatte die Augen immer noch fest geschlossen.
Dominik schwang die Beine aus dem Bett, dann gab er sich einen Ruck und stand ganz auf. Hannah drehte sich unruhig auf die Seite, wurde aber nicht wach. Einen Moment lang blieb er regungslos stehen und konnte sich von ihrem Anblick nicht losreißen. Ihre schmale Gestalt zeichnete sich unter den dünnen Laken ab. Sie wirkte verletzlich. Im hereinfallenden Mondlicht sah ihre Haut aus wie zerbrechliches Porzellan und ihre geschlossenen Lider wirkten transparent. Sein Herz schlug nun schneller und sein Magen krampfte sich zusammen. Schnell wandte er sich ab und verdrängte seine Frau aus seinen Gedanken.
Im Badezimmer hatte er ein frisches Hemd und dunkle Jeans versteckt. Beides lagerte er zwischen der Schmutzwäsche im Korb. Bisher war Hannah nie etwas aufgefallen, weshalb er keinen Grund sah, sich ein neues Versteck auszudenken. Zuerst überlegte er, noch duschen zu gehen, aber dann entschied er sich dagegen. Er wollte sein Glück nicht überstrapazieren.
Nachdem er sich angezogen hatte, betrachtete er sich im Spiegel. Der letzte Fall hatte ihn mehr mitgenommen, als er sich bisher hatte eingestehen wollen. Er sah viel älter aus als noch vor Kurzem. Bis vor ein paar Monaten hatte er öfters Komplimente für sein Aussehen bekommen und war meist jünger geschätzt worden, als er war. Jetzt musterte er sich zum ersten Mal seit langer Zeit genauer. Seine blauen Augen waren eingerahmt von kleinen Fältchen, die sicher nicht nur vom Lachen stammten. Seine Haare waren ein paar Zentimeter länger als früher, was daran lag, dass er nach der Arbeit keine Nerven mehr für einen Friseurbesuch hatte. Sein ganzes Äußeres erschien ihm um einiges unbedachter als noch vor einem Jahr.
Er fragte sich, ob Hannah diese Veränderung an ihm auch bemerkt hatte. Ob sie sich insgeheim einen jüngeren Mann wünschte, der auch zu Hause noch dynamisch und tatkräftig war, oder ob sie zufrieden mit ihm war. Wahrscheinlich war sie das tatsächlich. Zufrieden mit einem Drecksack als Ehemann.
21.
Die Nacht war sommerlich schwül. Die Mücken, die noch nicht mitbekommen hatten, dass es Herbst geworden war, scharten sich im eitrig gelben Licht der Straßenbeleuchtung zu Armeen. Er lehnte an der Wand in einer Gasse, schloss die Augen und versuchte, seinen fiebernden Körper zu beruhigen. Schweiß rann ihm über die Wangen und tropfte in den Kragen seines dünnen Mantels.
Er hatte nicht damit gerechnet. Er hatte geglaubt, dass sein dunkler Stern ihm Zeit lassen würde, um neue Kräfte zu sammeln. Zwischen seiner ersten Tat am Kahlenberg und der zweiten, die im Volksgarten passiert war, hatte er ganze vier Wochen Ruhe gehabt. Vier gute Wochen, ohne diesen Druck auf seiner Brust und in seinem Kopf. Einen Druck, der ihm das Gefühl gab, dass sein Herz und sein Hirn kurz vor der Explosion standen. Nachdem er den Mann im Volksgarten erdolcht hatte, war wieder alles ruhig und leicht geworden und Anfang September hatte er sogar geglaubt, dass er seine Sucht überwunden hatte. Doch dann …
Er wollte nicht daran denken. Es war zwecklos. Das Leben war für ihn schon immer ein ständiges Schwimmen in einem unruhigen Strom gewesen und immer wieder war er in einen Strudel geraten. Dieses Mal war der Strudel jedoch eine regelrechte Todesspirale. Er spürte Tabea Rabes hilflosen Körper,
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