Die Muse des Mörders (German Edition)
Café Hawelka jeden dritten Mittwoch im Monat aus allen Nähten, was heute einen beklemmenden Eindruck auf sie machte. Sie spürte einen leichten Anflug klaustrophobischer Angst, die sie von sich nicht kannte. Unsicher machte sie sich auf den Weg durch die Menschenknäuel an den Tischen. Sie war zum ersten Mal ohne Paul hier, sicher rührte ihre Unsicherheit daher. Konzentriert blickte sie auf den Boden und erreichte schließlich ihren Platz.
Madeleine schüttelte die Hände der Literaten und Literaturfreunde, die sie zum Teil schon aus den Sechziger- und Siebzigerjahren kannte. Damals war das Hawelka eine Art zweites Wohnzimmer für die Kunstszene der Stadt gewesen, heute war es ein abgenutzter, aber gemütlicher Touristentreffpunkt, außer wenn der Literatursalon stattfand. Jedes Mal lasen etablierte und weniger etablierte Schriftsteller aus ihren Werken und stellten sich danach der allgemeinen Kritik. Madeleine setzte sich und ließ den Blick über die Menge schweifen. Wie immer war ein Reporter der Krone zugegen, der sich morgen in einer Kolumne über die Geschehnisse auslassen würde. Ansonsten war das Publikum bunt gemischt. Alternativ gekleidete Studenten saßen neben gut situierten Berufsehefrauen in teuren Kostümen. Wirklich nah war Madeleine keinem hier, was ihr Beileidsbekundungen ersparte. Pauls Bekannte und Freunde hatte sie schon telefonisch benachrichtigt, was wohl das Foto von ihm erklärte, welches auf dem Tresen stand. Daneben hatte jemand einen Strauß weißer Lilien in einer Messingvase platziert.
Sie betrachtete das Bild einen Moment lang. Es musste aus den Achtzigern stammen, ein Portrait in Schwarzweiß, auf dem Paul wie ein Filmstar aussah. Es kam ihr vor, als lächle er von diesem Foto beruhigend auf sie herab, doch sein Blick zeigte keine Wirkung. Sie sah auf, weil Bewegung in die Menge kam. Ein junger Mann mit hüftlangen Haaren, die sich über der Stirn schon lichteten, erhob sich aus dem Kreis der Studenten.
»Das ist der Junge, der den Essay geschrieben hat«, flüsterte ihr Sitznachbar, ein rothaariger Schnauzbartträger namens Gregor Jung, ihr zu. Jung war Universitätsprofessor und der Mentor des heutigen Gastlesers. Sie wusste, dass er von dessen Text hellauf begeistert war, doch sie selbst hatte den Essay noch nicht gelesen. Alles, was sie wusste, war, dass er sich um die Mordserien drehte, im Internet von ihm verbreitet worden war und für einen kleinen Medienskandal gesorgt hatte.
Der Neu-Autor nahm am einzigen leeren Tisch Platz und zog ein Manuskript aus einer Ledertasche. Das Stimmengewirr im Raum wich gespannter Stille und die Enge, die Madeleine schon beim Eintreten gespürt hatte, wurde zu einer drückenden Last, die wie eine Dunstglocke über dem Kaffeehaus hing. Stirnrunzelnd wandte sie den Blick zur niedrigen Decke, dann schüttelte sie unmerklich den Kopf über sich selbst. Sie war einfach keine Menschenmengen mehr gewöhnt.
Der junge Mann räusperte sich, nahm einen Schluck Wasser und begann mit seinem Vortrag.
27.
Dominik betrachtete den Leichnam, der noch immer auf dem Boden der Gasse lag. Seine Kollegen hatten einen provisorischen Sichtschutz errichtet, der die Ermittler vor Schaulustigen und Reportern abschirmte. Dominik stand abseits und sah nachdenklich der Spurensicherung zu, die routiniert Proben nahm. Das Opfer war ein dicklicher Mann, dessen Bauch sich unter dem Hemd wölbte. Auf der Straße lagen rote Rosen verstreut, was den Anblick des Toten grotesk anmuten ließ. Es war einfach gewesen, ihn zu identifizieren, denn er hatte seine Geldbörse inklusive seiner Papiere bei sich gehabt. Richard Fuchs, ein erfolgreicher Immobilienmakler. Verheiratet, unauffällig.
Entnervt zündete Dominik sich eine Zigarette an. Sie würden nie weiterkommen, wenn der Dolchstoßmörder sich nicht langsam auf einen Opfertyp festlegte. Wie Jack Unterweger, das Paradebeispiel der österreichischen Serienmördergeschichte. Unterweger hatte fast nur Prostituierte getötet und zwar ausnahmslos solche, die ihn an seine Mutter erinnerten. So leicht machte es ihnen dieser Wiener Serientäter des neuen Jahrtausends nicht. Er tötete zwar immer auf die gleiche Art, doch seine Opfer hatten rein gar nichts gemeinsam. Nicht das Geschlecht, nicht das Aussehen, nicht einmal das Milieu. Es gab solche Täter. Kluge, kontrollierte Psychopathen, die sich nicht festlegten, um kein Risiko einzugehen. Die vermeiden wollten, dass irgendein Profiler oder Kriminologe ihre Motive aus
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