Die Muse des Mörders (German Edition)
um sich die Beine zu vertreten. Ein Blick aus dem Fenster verriet ihm, dass die Sonne heute noch einmal all ihre Kräfte mobilisierte und auf die Dächer der Stadt herabbrannte. Das Wetter passte zur allgemeinen Grundstimmung in der aufgeheizten Stadt und trug nicht zur Verbesserung von Dominiks Laune bei. Trotzdem würde ihm ein Spaziergang guttun, um den Kopf freizukriegen.
Er verließ sein Büro und ging hinunter ans Donauufer. Die bekannten Graffitis begrüßten ihn mit orangenen und weißen Buchstaben, die er nicht entziffern konnte. Er stellte fest, dass sich die Abkürzungen, Gemälde und Worte über Nacht vermehrt hatten. Dominik beneidete die Streifenpolizisten nicht. Nacht für Nacht mussten sie sich mit illegalen Sprayern auseinandersetzen, die auch die Wände am Donaukanal mit ihrer Kunst verschandelten, an denen es nicht ausdrücklich erlaubt war.
Er zündete sich eine Zigarette an, betrachtete das unruhige Wasser und genoss die Stille. Hier konnte er in Ruhe nachdenken und die Puzzleteile des Mordfalls neu zusammensetzen. Bisher gab es drei Opfer, die alle in keinerlei Verbindung zueinander standen. Sie kannten weder die gleichen Leute, noch waren sie auf dieselbe Schule gegangen oder wohnten in derselben Straße. Dominik hatte jede noch so kleine mögliche Verbindung überprüft. Erfolglos. Das erste Opfer, Jeremia Novak, war ein junger Mann aus gutem Hause gewesen, der die Semesterferien seines Medizinstudiums in einem Wellnesshotel am Kahlenberg verbracht hatte. Obwohl er in Linz studierte, kam er regelmäßig nach Wien, um seine Eltern und Freunde zu besuchen. Jeremia legte viel Wert auf gutes Aussehen, teure Kleidung, Schmuck und ein schickes Auto. Seine Eltern unterstützten ihn mit Geld und zeigten ihren Reichtum gern in aller Öffentlichkeit. Selbst Jeremias Beerdigung hatte mehr einem High-Society-Event geglichen als einer Trauerfeier.
Dominik rief sich das Gesicht des Jungen vor Augen. Bis auf die dunklen Haare hatten Tabea Rabe und Jeremia Novak nichts gemeinsam.
Volker Hofer, das zweite Opfer, war ein pensionierter Schuldirektor, der im Laufe seines Lebens einiges an Reichtümern angesammelt hatte. Zu seinen Schätzen gehörten alte Modellautos, deren Preis den von Dominiks Wagen um Längen überstieg. Das Geld, mit dem er seine Sammelleidenschaft bezahlte, stammte aus einer Erbschaft und war das Einzige, was Volker Hofer mit Jeremia Novak verband.
So sehr Dominik es auch versuchte, die beiden ersten Opfer wollten sich einfach nicht in Verbindung mit Tabea Rabe bringen lassen. Die junge Frau stammte weder aus gutem Hause, noch hatte sie viel Geld angehäuft. Ihr Theaterjob war gut, aber nicht übermäßig gut bezahlt, sodass sie bequem, aber nicht luxuriös leben konnte. Außerdem war der Mord an ihr in ihrer Wohnung, nicht in der Öffentlichkeit geschehen wie die anderen zuvor.
Erneut zweifelte er an einer Verbindung zwischen den drei Morden. Auch wenn Steigermann Tabea Rabe nicht getötet hatte, konnte es immer noch ein anderer Trittbrettfahrer gewesen sein. Oder aber, sie hatten es beim Dolchstoßmörder mit einem planlosen, nicht organisierten Serientäter zu tun, der sich seine Opfer rein zufällig aussuchte.
Das Klingeln seine Handys unterbrach seine Gedanken. Er nahm ab und rechnete mit Hannah. Stattdessen teilte ihm eine professionell klingende Stimme mit, dass er gebraucht wurde. Sie hatten Opfer Nummer vier gefunden.
26.
Als Madeleine das winzige Café betrat, war es bereits bis auf den letzten Platz besetzt. Eine Woge aus Geschirrklappern und Stimmengewirr schlug ihr entgegen. Es war stickig und der Geruch von verbrannter Milch hing in der Luft. Obwohl sie in der letzten Nacht noch stundenlang in schwermütigen Gedanken versunken war, hatte sie beschlossen, heute herzukommen. Nun war sie sich nicht mehr so sicher, ob das die richtige Entscheidung gewesen war.
Die Tür fiel hinter ihr zu und sperrte den letzten Rest frischer Luft aus. Für einen Moment wurde ihr schwindelig, das übervolle Gasthaus verschwamm vor ihren Augen. Sie stützte sich an der Lehne eines Stuhls ab und hielt Ausschau nach ihren alten Freunden, die gleichzeitig Mitveranstalter des Literatursalons waren. Sie entdeckte die bekannten Gesichter an den Fenstertischen und war froh, dass sie nicht im Getümmel würde sitzen müssen. Vor fast zehn Jahren, als sie die Veranstaltung ins Leben gerufen hatte, hatten sich kaum fünfzehn Interessierte eingefunden. Mittlerweile platzte das
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