Die Muse des Mörders (German Edition)
Debatte ging weiter. Als Nächstes meldete sich eine ihr wohlbekannte Stimme zu Wort.
»Der Mann hat doch recht, Jung. Ärgerlich genug, dass sich unbescholtene Bürger nachts nicht mehr vor die Tür wagen können, aber wollen wir uns hier auch noch damit beschäftigen? Nein, hier soll es um Kultur gehen.« Die Stimme mit dem süffisanten Unterton gehörte zu Johann Baptist Möller, einem von vielen ihrer Kollegen gefürchteten Literaturkritiker.
Madeleine reckte den Hals und musste einen Moment suchen, dann entdeckte sie ihn auf einem Barhocker, in der Hand eine Tasse, die grau melierten Haare nach hinten gegelt. Möller war ein eitler Selbstdarsteller, der alles, was er tat, darauf abstimmte, dass es ihn ins Gespräch brachte. Sie hatte ihn noch nie gemocht. Er war einer dieser Menschen, die zu allem eine Meinung haben mussten und fest davon überzeugt waren, dass diese stets die einzig richtige war. Zu Madeleines Unwillen stimmten ihm viele der Anwesenden zu und auch der Glatzkopf ergriff Möllers Partei.
»Wenn ich mich mit dem echten Leben beschäftigen will, lese ich die Zeitung.«
Erst jetzt fand der junge langhaarige Autor den Mut, sich zu rechtfertigen.
»Die verschweigt aber die Hälfte.«
»Unsere nicht«, sagte der Krone-Reporter und erntete ein paar Lacher.
»Wenn Sie schon über diese unsäglichen Mordserien schreiben, sollten Sie wenigstens eine Moral einflechten«, sagte Möller. »Ein Plädoyer für mehr Sicherheit zum Beispiel. Anstatt uns hier solche Geistergeschichten aufzutischen.«
Der Verfasser des umstrittenen Essays schluckte, wobei sein Adamsapfel auf und ab hüpfte. Dem wortgewandten Möller war er nicht gewachsen. Wieder taten die Zuhörer ihre Zustimmung kund, einige applaudierten sogar.
Madeleine umklammerte den Henkel ihrer Tasche und ergriff nun selbst das Wort.
»Was haben Sie denn, Möller? Angst, bei Ihren eigenen nächtlichen Ausflügen einem Geist zu begegnen?«
Nun waren die Lacher auf ihrer Seite und Möllers Blick traf sie wie ein Giftpfeil. Dass er seiner Ehefrau nicht treu sein konnte, war ein offenes Geheimnis. Ein kleiner, aber tiefer Kratzer in seinem scheinheiligen Saubermann-Image.
»So ein Unsinn, Frau Scuderi. Ich denke einfach nur, wir haben es hier mit einer ganz irdischen Gefahr zu tun und ein kleiner Appell ans Pflichtbewusstsein der Polizei könnte sicher nicht schaden.«
»Was schlagen Sie denn vor? Eine Polizeieskorte für jeden untreuen Ehemann?« Madeleine registrierte die vor Begeisterung sprühenden Blicke, die der Professor des Autors ihr zuwarf. Die anderen an ihrem Tisch konnten sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Möller hingegen wurde puterrot.
»Ich weiß ja nicht, was in Ihrem Kopf vorgeht, Madeleine, aber in der Nacht sind auch ganz normale Menschen unterwegs. Ganz einfache Liebende zum Beispiel. Ihr Paul hätte sich vielleicht nachts nicht zu Ihnen gewagt, wenn er um sein Leben hätte fürchten müssen.«
Ein Raunen ging durch die Menge und die Gesichter der Zuhörer verrieten, dass Möller eine Grenze überschritten hatte. Er versuchte, einen Treffer unter der Gürtellinie zu landen, und Madeleine registrierte die armselige Bemühung, sie zu verletzen.
»Ich sage Ihnen etwas, Möller.« Sie straffte sich und schaute Möller direkt an. »Liebe erfordert Rückgrat und Mut und wer Angst vor einem Mörder hat, der hat die Liebe nicht verdient.«
Im Café Hawelka wurde es still und einige Blicke wanderten unauffällig zu dem Foto des gutaussehenden Mannes auf dem Tresen. In den Köpfen der Romantiker bauten sich wahrscheinlich Bilder auf, wie er sich durch Nacht und Nebel furchtlos zu der Frau kämpfte, die er liebte. Doch in eindeutig mehr Augenpaaren lag Zweifel.
29.
»Marie, steh bitte auf.«
Die dröhnende Stimme ihres Vaters verursachte Marie Kopfschmerzen. Seit gut fünf Minuten hämmerte er nun schon gegen ihre Tür und verlangte, dass sie aus dem Bett kam. Dabei war ihr nicht nach Aufstehen zumute. Eigentlich war ihr nach gar nichts zumute. Sie wollte weder aufstehen noch wach sein und schon gar nicht wollte sie nachdenken. Der Schmerz über Olivers Verrat saß tief und lähmte sie geradezu. Ihre Zweifel waren berechtigt gewesen. Sie hätte ihm nicht trauen dürfen. Es war, als hätte er ihr ganzes Weltbild verrückt. Mit einem Schlag alles zerstört, durcheinandergewirbelt und dann neu zusammengefügt. Trotzdem sträubte sich alles in ihr dagegen, zu akzeptieren, dass er sie hängen gelassen hatte. Seit
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