Die Muse des Mörders (German Edition)
Sammlung um ein so prachtvolles Stück gewachsen war.
Er fühlte sich trotzdem nicht gut. Er war nicht erleichtert, der Druck war weder aus seinem Kopf noch aus seiner Brust gewichen. Seit sein Beutezug so gründlich schiefgelaufen war, hatte eine Unruhe von ihm Besitz ergriffen, die er nicht beschwichtigen konnte.
Die unerwartete Begegnung hatte ihn in einen Schockzustand versetzt. Auch wenn er das Schlimmste hatte abwenden können, machte sich seitdem ein Gefühl in ihm breit, das er kaum benennen mochte. Es kroch durch seinen Kopf bis in seine Brust, drehte ihm den Magen um und ließ ihn die Hände in den Taschen zu Fäusten ballen. Möglich, dass es Scham war.
Letzte Nacht hatte zum ersten Mal ein echter Mensch, keiner seiner Dämonen, sein wahres Ich gesehen. Jeder, der mit dem Monster in ihm konfrontiert wurde, musste ihn für einen Verrückten halten. Einen Wahnsinnigen, der Nacht für Nacht mit seinem Messer Amok lief, weil er vielleicht eine beschissene Kindheit gehabt hatte, weil er von den Frauen verschmäht wurde oder weil ein paar Synapsen in seinem Gehirn die falschen Signale sendeten. Wenn das so einfach gewesen wäre.
Er lachte bitter in sich hinein. Erklärungsversuche waren zwecklos und es war unmöglich, zu sagen, was sein dunkler Stern, was seine Dämonen davon halten würden, wenn er jemandem von ihnen erzählte. Er war sich noch nicht einmal sicher, ob er es können würde. Allein wenn er in Momenten wie diesem, an ganz normalen Tagen, daran dachte, wurde sein Mund trocken und eine unbestimmte Angst machte sich in ihm breit. Dass er vielleicht die Kontrolle verlor. Dass sein Stern endgültig die Macht in ihm übernahm und ihn zu Dingen brachte, die er nicht einmal denken konnte.
Es gab nun einen Mitwisser. Jemanden, dem er nicht in die Augen blicken konnte, ohne auch dort die gleiche Angst zu erkennen. Als ob er nicht schon genug Angst vor sich selbst gehabt hätte.
»He, pass doch auf, Mann!«
Er blickte zu spät auf und lief mit voller Wucht in einen Zeitungsverkäufer. Der dunkelhäutige Mann in der gelben Weste prallte ein paar Schritte zurück gegen seine eigene Auslage. Zeitungen fielen zu Boden und verstreuten sich über den Bürgersteig.
»Tut mir leid. Keine Absicht.« Er zog die Hände aus den Taschen und hob sie entschuldigend, als fürchtete er, dass der Mann ihm im nächsten Moment mit der Faust ins Gesicht schlagen würde. Er hatte ein ganzes Repertoire an Gesten drauf, die ihn normal und harmlos wirken ließen. In Wahrheit jagte ihm die Vorstellung einer Konfrontation keine Angst ein.
Der Verkäufer schüttelte aber nur den Kopf, ließ sich auf ein Knie sinken und versuchte, seine Zeitungen wieder in Ordnung zu bringen.
»Ach, was soll’s«, sagte er.
»Warten Sie. Zu zweit geht es schneller.« Er ging in die Hocke und half, die Magazine und Tageszeitungen aufzusammeln. Beiläufig berührte die behaarte Hand des Verkäufers seine eigene und für einen Moment wünschte er sich, er und der Mann könnten die Körper tauschen. Er würde dann bis zum Ende des Tages hier stehen und Zeitungen verkaufen und anschließend würde er mit ein paar Euro in der Tasche nach Hause gehen, in eine winzige Wohnung zu drei dünnen Kindern und einer Frau, die nach dem Essen roch, das sie gekocht hatte. Sie würden zusammen am Tisch sitzen und nicht viel reden müssen, um zu wissen, dass alles in bester Ordnung war. Abends würde er in sein durchgelegenes Bett gehen, seine Frau in die Arme nehmen und wissen, dass ihn nichts zwingen würde, nachts aufzustehen, den Dolch einzustecken und Menschen zu töten.
»Danke fürs Helfen. Umgerannt werde ich andauernd, aber einräumen will keiner.«
Beide richteten sich auf und der Zeitungsverkäufer grinste ihn an. In seinem Mund leuchteten weniger Zähne, als gesund war. Er drückte ihm eine Zeitung in die Hand, die Abendausgabe der Krone.
»Hier, ist für Sie.«
Er murmelte einen Dank, lief weiter und warf einen Blick auf die Schlagzeilen. Was da stand, in dicken schwarzen Buchstaben, ließ ihn schwindlig werden. Schnell sah er hinter sich, doch der Verkäufer nahm schon keine Notiz mehr von ihm. Er verschwand in einer Seitenstraße und setzte sich auf eine Bank, unfähig, die Augen von den wenigen Worten abzuwenden.
Dass er die Schlagzeilen beherrschte, war nichts Neues. Dass die Medien sich auf ihn stürzten, ihn missverstanden und fehlinterpretierten, musste er in Kauf nehmen, wenn ihm auch Tag für Tag missfiel, was
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