Die Muse des Mörders (German Edition)
sie über ihn schrieben. Heute war es aber etwas anderes. Er las die Schlagzeile immer wieder und spürte, wie es ihm langsam besser ging.
Er war nicht allein. Er schaute auf und blinzelte in die Abendsonne. Der Tag erschien ihm nun viel weniger finster.
32.
Dominik knüllte die Zeitung zu einem Ball zusammen und feuerte sie in die Richtung des Mülleimers. Sie prallte ab, kullerte über den Küchenboden und blieb direkt vor Hannahs Füßen liegen, die gerade damit beschäftigt war, den Kindern Brote zu schmieren.
»Knapp daneben.« Hannah bückte sich und trug die Zeitung zum Müll. Anstatt sie wegzuschmeißen, hielt sie inne und faltete sie stirnrunzelnd auseinander.
»Lichtgestalt Wiens spricht sich gegen mehr Sicherheit aus«, las sie die Schlagzeile vor. »Madeleine Scuderi gibt dem Dolchstoßmörder einen Freibrief fürs Töten.«
Dominik hätte ihr die Zeitung am liebsten entrissen. Stattdessen nippte er an seinem Kaffee und betrachtete seine Frau. Ihre Augen flogen über das zerknitterte Papier und ihre Lippen bewegten sich stumm.
»Die Alte scheint ein bisschen benebelt zu sein«, sagte Dominik.
»Ach ja?« Hannah bedachte ihn mit einem argwöhnischen Blick. »Die ›Alte‹ spricht über Liebe, Dominik. Darüber, dass Liebe keine Grenzen kennen sollte. Ist das so verwerflich?«
»Sie lässt die Bevölkerung leichtsinnig werden.« Dominik trank den letzten Schluck Kaffee aus und erhob sich. »Außerdem spielte bei keinem der Opfer Liebe eine Rolle. Die ermordeten Kerle hatten, genau wie die Frau übrigens, Affären, lockere Liebschaften, zwanglosen Sex. Ganz ohne Gefühle, verstehst du?«
»Ja und nein. Was ist denn Sex ohne Liebe wert? Kannst du mir das verraten?«
»Fang jetzt nicht mit irgendwelchen Grundsatzdiskussionen an, ich muss zur Arbeit.«
»Was ist mit heute Abend?« Hannahs Blick ruhte auf ihm. Er fragte sich, wie er ihn loswerden konnte. Vielleicht sollte er es einmal mit Abschütteln versuchen. Dominik verließ die Küche, aber Hannah und ihr bohrender Blick folgten ihm.
»Heute Abend wird es sicher spät. Du musst nicht auf mich warten.«
»Wird es morgen Abend auch spät und am Wochenende?«
Er durchquerte planlos das Haus, lief von der Küche ins Wohnzimmer, durch den Flur hinauf ins Schlafzimmer und dann wieder zurück in den Flur, aber Hannah folgte ihm beharrlich.
»Findest du nicht auch, dass es langsam Zeit wird, dass wir reden?«
Dominik blieb abrupt stehen und Hannah wäre beinahe aufgelaufen. Sie fing sich rechtzeitig und kam nur wenige Millimeter hinter ihm zum Stehen. Er konnte ihr Parfüm riechen. Diesmal war es kein Flieder, sondern der süße Duft irgendeiner anderen Blume.
»Dominik.« Hannah hatte die Stimme gesenkt.
Er fuhr herum.
»Irgendein gestörter Irrer rennt durch die Stadt und schlachtet Menschen ab, glaubst du, da habe ich nichts Besseres zu tun, als mit dir über so einen Quatsch zu reden?«
»Früher warst du auch in der Lage, deinen Job und deine Familie zu vereinbaren.« Ohne sie anzusehen, wusste er, dass seine Frau weinte. Es machte ihn rasend. Wieso musste sie immer aus allem ein Drama machen?
»War ich das wirklich?« Er funkelte Hannah an, dann schob er sie zur Seite und ging zur Haustür. »Denk einmal darüber nach.« Er zog die Tür, so fest er konnte, hinter sich ins Schloss.
33.
Die ganze Fahrt zum Präsidium über quälte Dominik die Frage, ob er zu Hause alles verschlossen hatte. Er kannte Hannah. Wenn sie stritten, war sie danach immer so kopflos, dass sie nicht einmal mehr zu den einfachsten Sachen imstande war. Alle Fenster zu schließen und die Alarmanlage zu aktivieren gehörte dann ebenso wenig zu ihren Stärken wie das Verriegeln des Autos, wenn sie die Kinder in die Schule fuhr. Vielleicht sollte er sie anrufen und auf all diese Dinge aufmerksam machen. Er verwarf den Gedanken und bog ab. Sie wusste das selbst, sicher unterschätzte er sie nur.
Als er sich dem Gebäude am Schottenring näherte, entdeckte er sie schon von Weitem. Die Presse. Eifrige Reporter in sommerlichen Hemden hatten sich vor dem Eingang versammelt und warteten darauf, die Sensationsgier der Menschen mit reißerischen Nachrichten zu stillen. Hier, im Schutz des Polizeipräsidiums, fühlten sie sich anscheinend sicher vor dem Dolchstoßmörder.
Dominik überlegte einen Moment, dann entschied er sich gegen die Flucht und für eine Konfrontation. Er parkte seinen Mégane auf dem Bürgersteig und stieg
Weitere Kostenlose Bücher