Die Muse des Mörders (German Edition)
hergestellt, Herr Kardos?«
Kardos richtete sich auf und nahm Madeleine das Beutelchen aus der Hand.
»999er Gold, das bedeutet höchste Reinheit. Dazu ein Diamant in verfeinertem Tolkowsky-Schliff, aus dem sich ein perfektes Feuer entwickelt. Sehen Sie, das Licht bricht sich in die Spektralfarben und der Stein scheint aus sich selbst heraus zu leuchten. Genau wegen diesem Effekt ist der Brillantschliff so beliebt.« Er blickte auf. »Sie hatten recht mit Ihrer Vermutung. Richard Fuchs hat diese Ohrringe und das Collier bei mir in Auftrag gegeben. Einige Wochen, bevor er umgebracht wurde.«
Madeleine konnte nicht leugnen, dass eine gewisse Ehrfurcht von ihr Besitz ergriff. Der Schmuck sah aus wie der Teil eines märchenhaften Schatzes, nicht wie etwas, das ein Mann, der so bodenständig wie Kardos wirkte, ganz ohne Zauberei hergestellt haben konnte.
»Sie sollten die Ohrringe behalten«, sagte er, lächelte und schob sie zu ihr hinüber.
Judiths Lachen erfüllte den Raum.
»Das ist mein Ernst.« Kardos sah immer noch Madeleine an. »Wenn dieser Mörder Sie und Ihre Haushaltshilfe schon halb zu Tode erschreckt hat, dann sollten Sie wenigstens etwas davon haben.«
Madeleine musste lächeln. René Kardos’ geradlinige Art gefiel ihr.
»Danke, aber das ist es nicht, weshalb ich mit Ihnen sprechen wollte. Ich wollte Ihnen die Ohrringe überlassen, wenn Sie schon einmal hier sind.«
Kardos schüttelte energisch den Kopf.
»Ich bitte Sie. Nehmen Sie sie als eine Art Entschädigung.«
»Das geht nicht, es klebt Blut daran.«
Der Goldschmied blickte auf die funkelnden Ohrringe.
»Ich sehe keines.«
Madeleine lachte leise und schüttelte den Kopf.
»Gut, Herr Kardos. Ich bin auch nur eine Frau.« Widerstrebend nahm sie das Beutelchen an sich und der Goldschmied lächelte zufrieden. »Ich kann Sie trotzdem noch nicht wieder gehen lassen. Eine Frage lässt mich nicht los, die ein Fachmann wie Sie mir vielleicht beantworten kann.« Sie überlegte kurz, bevor sie fortfuhr. »In der Kunst hat doch alles eine Aussage. Bilder, Musikstücke, literarische Werke. Immer gibt es am Ende, wenn das Werk fertig ist, eine Art Moral.«
Kardos nickte, ein nachdenklicher Ausdruck war in seine Augen getreten.
»Meine Frage ist, ob es eine solche Aussage, eine Moral auch bei Schmuckstücken geben kann. Ob der Mörder mir vielleicht noch irgendetwas mitteilen wollte.«
Kardos richtete den Blick auf die Weinberge hinter dem Haus. Eine Zeit lang war es still, dann antwortete er.
»Verständlich, dass Sie auf so eine Idee kommen. Ich glaube aber, Sie übersehen etwas Entscheidendes. Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen …« Er sah sie fragend an.
»Nein, nein, sprechen Sie. Bitte.«
»Ein Bild oder ein Buch lebt von sich selbst. Es ist in sich geschlossen. Schmuck hingegen gewinnt seine Bedeutung durch die, die sich damit beschäftigen. Zuerst durch den, der ihn herstellt, dann, und vielleicht noch stärker, durch den Besitzer. Durch den, der ihn trägt oder von mir aus auch zu Hause lagert, weil er zu wertvoll ist, um ihn zu tragen.«
Madeleine kniff die Brauen zusammen.
»Sehen Sie.« Kardos griff nach Judiths Hand und zog ihr vorsichtig den Saphirring vom Finger. Madeleine sah, wie die Polizistengattin unter seiner Berührung erschauerte. Der Goldschmied wog den Ring in der Hand und hielt ihn dann Madeleine hin.
»Ein gewöhnlicher Ring mit einem blauen Saphir. Handarbeit, in Silber gefasst, schlicht, elegant, alles in allem aber ziemlich nichtssagend.« Er steckte den Ring auf seinen eigenen kleinen Finger und ein verschmitztes Grinsen huschte über seine Züge. »Ein blauer Saphirring an der Hand eines Mannes. Was sagt er jetzt aus?«
»Schwul«, sagte Judith und kicherte. »Entschuldigung.«
»Nein, das trifft es genau.« Kardos nahm den Ring ab und steckte ihn wieder an Judiths Ringfinger. »An der Hand einer hübschen Blondine allerdings, die sich teuer kleidet und offenbar Geschmack hat …« Er ließ Judiths Hand los. »… verändert sich das Bild. Der Ring wirkt nicht mehr wie das protzige Schmuckstück eines eingebildeten Schwulen, sondern stilvoll und kultiviert.«
Spätestens jetzt hatte Judith dem Goldschmied seine Eskapaden sichtlich verziehen. Sie lächelte ihn entzückt an und ließ ihn nicht mehr aus den Augen. Madeleine schwieg für einen Augenblick, dann dachte sie an den Brief, den sie bekommen hatte.
»Der Mörder stiehlt seinen Opfern Schmuck, weil sie ihn nicht
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