Die Muse des Mörders (German Edition)
doch entschuldigt.«
Oliver sah auf und sie erschrak, als sie an seinem Blick erkannte, dass er wütend war. Wütend auf sie? Warum? Er hatte noch nie mit ihr gestritten.
»Ich trete deinem heiligen Vater schon nicht zu nahe.«
»Werd nicht unfair. Wir haben doch immer nur einander gehabt.«
»Jetzt hast du aber mich, Marie.« Er ergriff ihre Hand mit beiden Händen.
»Ich mach mir solche Sorgen um dich, Oliver«, sagte sie.
Er schüttelte den Kopf und schloss sie wortlos in die Arme.
51.
Madeleine saß auf einem der Sitzmöbel vor dem schwarzen Kubus, der das Museum Moderner Kunst beherbergte. Innerlich versuchte sie, sich auf ihre Lesung vorzubereiten. Sie machte sich nichts vor. Es würden Reporter da sein und es war gut möglich, dass sie unangenehme Fragen stellten.
Ein letztes Mal blätterte sie die Seiten ihres ersten Romans durch, die sie vorlesen wollte. Sie hatte sich bewusst für ihr erstes Werk entschieden. Nicht weil sie sentimental wurde, sondern weil der Liebesroman, den sie vor so vielen Jahren geschrieben hatte, den Menschen schon früher ein Lächeln entlockt hatte. Damals hatte sie all ihre Hoffnungen und Träume in diese Zeilen gelegt und damit würde sie hoffentlich auch heute ein wenig Optimismus verbreiten können.
Madeleine schlug das zerlesene Buch zu, nahm die Lesebrille ab, die an einer Kette um ihren Hals baumelte, und stand auf. Sie streckte sich, bevor sie zum Architekturzentrum losging. Der Museumsplatz lag in der warmen Mittagssonne friedlich da. Viele Menschen hatten sich versammelt, normale Bürger und herausgeputzte Bekannte von Judith Reinhardt. Judith selbst schien überall gleichzeitig zu sein.
Madeleine fiel auf, dass viele Polizisten hier waren, die in Zweiergruppen unauffällig in den Durchgängen zum Museumsplatz, im Schatten des schwarzen Kubus und vor den Eingängen der kleinen Geschäfte und Cafés standen. Sie erschauerte. Die Prostituierte, deren Leiche gestern gefunden worden war, war schon die zweite Frau, die dem Mörder zum Opfer gefallen war. Sein Verhalten erschreckte sie. Wenn ein Mann einen Mann tötete, herrschte im Normalfall eine gewisse Ausgeglichenheit zwischen den Gegnern. Ein Mann, der von einem Mann mit einem Messer angegriffen wurde, hatte eine kleine Chance auf Gegenwehr. Eine Frau hingegen war einem Mann körperlich meist unterlegen und dadurch, dass der Dolchstoßmörder sich von dieser angeborenen Schwäche nicht abschrecken ließ, zeigte er einen bedeutenden Teil seines ohnehin schon kranken Geistes. Er kannte kein Mitleid. Schwäche und Unterlegenheit konnten ihn nicht beeindrucken. Madeleine war keine Expertin für Psychologie, doch sie wusste, dass dies ein Merkmal eines klassischen Psychopathen war. Zu erkennen, dass der gemeingefährliche Mörder ein Psychopath oder, wie es neuerdings hieß, Soziopath war, war allerdings nicht sehr schwierig.
Sie hatte den Platz beinahe überquert und trat in den kühlen Schatten des Gebäudes, in dem die Lesung stattfinden sollte. Die Blicke einiger Passanten waren ihr nicht entgangen. Die meisten konzentrierten sich aber auf die Attraktionen, die Judith Reinhardt eigens für diesen Tag organisiert hatte. Ein Glücksrad, ein paar jonglierende Artisten, eine Gruppe Breakdancer. Nirgends wurde darauf hingewiesen, dass der Sinn der Veranstaltung war, Geld für die Hinterbliebenen der Gifttoten zu sammeln. Judith Reinhardt war ein Charity-Profi. Sie wusste, wie sie aus einem traurigen Fest ein fröhliches machen konnte.
Die Stühle im Podium, einem Veranstaltungsraum im Architekturzentrum, waren bis auf den letzten Platz besetzt. Auch auf den Sitzbänken entlang der Wände hatten Zuhörer Position bezogen und hinten an der Tür bildete eine Ansammlung junger Leute, dem Aussehen nach Schüler und Studenten, die Nachhut. Auch die Journalisten, die mit Notizblöcken, Laptops und Fotoapparaten auf neue Aussagen von ihr warteten, die sie aufbauschen konnten, wirkten unruhig.
Madeleine hatte ganz vorn am Tisch Platz genommen. Judith Reinhardt stand am Mikrofon und kündigte die Lesung mit warmen, wenn auch etwas peinlichen Worten an. Madeleine selbst sah sich zumindest nicht als »Wiens letzte Dame« und aus dem Mund der perfekt gekleideten Gattin des Polizeipräsidenten erschien ihr diese Bezeichnung wie ein Witz. Sie ließ den Blick über das Publikum wandern und sah erleichtert, dass Möller, der sie am Mittwoch zu ihrer unvorsichtigen Äußerung provoziert hatte, nicht hier
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