Die Muse des Mörders (German Edition)
Straße halbwegs geschützt, sodass er hoffte, der Mörder würde sich sicher genug fühlen, um ihn anzugreifen. Es war totenstill und sogar das Rauschen des Windes wirkte gedämpfter als sonst. Die Straßen lagen da wie ausgestorben.
Dominik trat zwischen die ersten Bäume und lauschte angestrengt. Er hörte nichts. Demonstrativ gab er das Schmuckkästchen von der einen in die andere Hand und musste dafür die Glock loslassen. Vielleicht war sich der Dolchstoßmörder nicht sicher, ob er tatsächlich derjenige mit dem Geschmeide war. Er ging weiter und seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Bei jedem Knacken im Geäst horchte er auf und selbst eine harmlose Ratte, die seinen Weg kreuzte, ließ ihn zusammenfahren. Lange würde er es nicht mehr aushalten und seine Hand würde wieder zu der Waffe wandern.
Als er weiterging, entdeckte er vor sich ein grasgrünes Motorrad. Es war zwischen dem Minigolfplatz und einer großen Achterbahn abgestellt, doch der Fahrer war nirgends zu sehen. Dominik atmete tief durch und sammelte all seine Kraft, dann trat er aus den Schatten auf den Riesenradplatz. Es war soweit.
58.
Marie konnte nicht sagen, was es war, aber irgendetwas ließ sie keinen Schlaf finden. Vielleicht lag es an der Tatsache, dass Oliver schon wieder nicht neben ihr lag. In der letzten Zeit verbrachte er immer mehr Nächte damit, Schmuckstücke in der häuslichen Werkstatt anzufertigen. Morgens saß er übermüdet am Frühstückstisch und wirkte abwesend. Marie beschloss, ihm noch eine Woche Zeit zu geben. Wenn er sich danach nicht ändern oder zumindest mit ihr über seine Probleme reden würde, musste sie ihm ein Ultimatum stellen. Natürlich würde sie sich nicht wirklich von Oliver trennen, allein der Gedanke daran bereitete ihr Schmerzen, doch sie würde versuchen, ihn unter Druck zu setzen. Diese Geheimnistuerei konnte so nicht weitergehen. Oliver musste endlich einsehen, dass er ihr vertrauen konnte.
Inzwischen war es halb sechs. Die Nacht war vorbei und er würde wahrscheinlich gar nicht mehr ins Bett kommen. Sie drehte sich auf die Seite und legte den Arm um die zerwühlte Bettdecke neben sich.
Es war ungewohnt, ihn nicht im Haus zu wissen. Seit er mit der Lehre im Betrieb ihres Vaters begonnen hatte, wohnte Oliver bei ihnen. Sein Vater war seit drei Jahren tot und seine Mutter war voriges Jahr in Genf an Krebs gestorben. Danach war er allein nach Wien gekommen. Ihr Vater war so angetan von seinem Talent und gleichzeitig so betroffen von seinem Schicksal gewesen, dass er ihm angeboten hatte, für die Zeit seiner Ausbildung bei ihnen einzuziehen.
Es hatte nicht lange gedauert, bis Oliver und sie sich so nahegekommen waren, dass er sich nachts regelmäßig zu ihr geschlichen hatte. Mittlerweile, nach ihrem kurzen unfreiwilligen Beziehungsende, teilten sie sich offiziell Maries Mädchenzimmer und nutzten seine kleine Kammer nur noch als Abstellraum.
Unten polterte es, dann wurde die Haustür so fest aufgestoßen, dass sie gegen die Wand flog. Marie setzte sich auf und starrte mit rasendem Herzen zu ihrer Zimmertür, obwohl diese geschlossen war. Es sah Oliver gar nicht ähnlich, so einen Krach zu machen. Vielleicht handelte es sich um einen Einbrecher oder, schlimmer noch, den Dolchstoßmörder, nach dem die Polizei fahndete.
»Unsinn«, sagte sie zu sich selbst, doch die beruhigende Wirkung des Wortes blieb aus. Leise stand sie auf und schlich zur Tür. Sie legte das Ohr daran und lauschte. Unten waren hastige Schritte zu hören, die auf die Treppe zukamen. Marie presste sich gegen die Wand, hielt den Atem an und horchte weiter. Die Schritte hasteten nun die Treppe hoch. Noch wenige Meter und sie würden ihr Zimmer erreicht haben. Marie sah sich nach einem Versteck um. Unter ihrem Bett lag noch der Koffer, dort würde sie also keinen Platz finden. Aus dem Fenster konnte sie auch nicht fliehen. Früher hatte draußen auf dem Hof eine riesige Eiche gestanden. Manchmal war Marie auf ihr Fensterbrett geklettert, hatte von da aus nach einem der Äste gegriffen und sich so nach unten gehangelt. Ihr Vater hatte den morschen Baum jedoch letztes Jahr gefällt, sodass diese Fluchtmöglichkeit nicht mehr bestand. Das Poltern war jetzt ganz nah.
Der Kleiderschrank! Marie riss die Tür ihres Schrankes auf und eine Ladung Kleider fiel ihr entgegen.
»Scheiße!« Sie verfluchte sich dafür, nicht mehr Ordnung gehalten zu haben. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und Panik überschattete
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