Die Muse des Mörders (German Edition)
ihren Verstand. Anstatt sich nach einem anderen Versteck oder einer Waffe umzusehen, stopfte sie die Kleidungsstücke wahllos wieder in die Fächer. Da flog die Tür auf und Marie erstarrte.
Oliver stand in der Tür. Sein Atem ging rasselnd und Schweiß glänzte auf seiner Stirn. Marie ließ ihre Augen tiefer wandern und schluckte. Auf seinem Shirt prangte ein riesiger Blutfleck.
»Marie, schnell!« Olivers Stimme war ein heiseres Krächzen. »Dein Vater! Oh Gott, Süße …« Er streckte die Hand nach ihr aus, aber sie entzog sich ihm.
»Was ist mit ihm, wo ist er? Was zum Teufel ist hier los?«
»Bitte, du darfst jetzt nicht durchdrehen. Du musst ganz ruhig bleiben.« Oliver kam einen Schritt näher und diesmal ließ sie zu, dass er ihre Hand nahm. Sie spürte die Wärme, die sein glühender Körper abstrahlte, als er sie an sich zog und behutsam mit zur Tür nahm.
»Oliver, was ist passiert? Bitte, sag doch etwas! Was ist mit meinem Vater?«
»Er ist … er ist …« Wieder brach er ab und schüttelte den Kopf.
Marie konnte es kaum aushalten. Sie spürte, dass etwas Schreckliches passiert war, aber ihr Gehirn weigerte sich, eins und eins zusammenzuzählen. Tränen rannen über ihre Wangen und ihre Knie fühlten sich wacklig an. Hätte Oliver sie nicht gestützt, wäre sie die Treppe hinuntergefallen.
Er brachte sie nach draußen und über den kleinen Hof zur Werkstatt hinüber. Sein Atem ging schnell und vermischte sich mit ihrem Schluchzen zu einem dämonischen Laut, der durch die Stille der frühen Morgenstunde hallte.
Bereits als sie das Haus verlassen hatten, hatte Marie die Blutspur entdeckt. Dicke Tropfen führten von der Werkstatt über den Hof bis in den Durchgang zum Laden. Sie löste sich von Oliver und folgte der Spur bis zum Wagen ihres Vaters. Die Autotüren standen weit offen, sodass sie erkennen konnte, dass der Beifahrersitz ebenfalls voller Blut war. Erst jetzt verstand sie und rannte los.
»Marie!«
Oliver folgte ihr, doch sie betrat die Werkstatt als Erste und erstarrte. Auf dem Boden, inmitten von Werkzeugen und Behältern mit Chemikalien, lag ihr Vater. Er hatte die Augen geschlossen und atmete flach. Aus einer Wunde in seiner Brust quoll unaufhörlich Blut. Unter ihm hatte sich eine riesige Lache gebildet.
»Oliver, was …?«
Oliver trat neben sie und schüttelte bedauernd den Kopf.
»Es tut mir so leid, Marie. Ich habe ihn so gefunden …« Er brach ab und riss sich von der Gestalt ihres Vaters los. Sein Blick wirkte nun wacher, er schien eine Idee zu haben. »Vielleicht kann ich ihm helfen. Wir brauchen Verbandszeug.«
Oliver riss eine Schublade nach der anderen auf. Das klirrende Geräusch der Feilen und Zangen darin ließ auch Marie aus ihrer Schockstarre erwachen. Sie wollte ihm zur Hilfe eilen, aber Oliver wimmelte sie mit einer hektischen Handbewegung ab.
»Drück die Wunde zu, schnell, er darf nicht noch mehr Blut verlieren.«
Marie nickte und ließ sich zu ihrem Vater auf den Boden sinken. Sofort waren die Knie ihrer Pyjamahose dunkelrot eingefärbt. Die klebrige Nässe kroch ihre Beine hoch und ihr wurde schlecht. Sie schloss die Augen, rang die Übelkeit nieder und widmete sich wieder ihrem Vater, der ihr wie ein Fremder vorkam.
Er wirkte so wehrlos, wie sie ihn noch nie zuvor gesehen hatte. Die Position, in der er lag, ließ ihn kleiner wirken und die entgleisten Züge hatten nichts mehr von dem stolzen Ausdruck, den sie von ihm kannte. Mit steifen Fingern tastete sie nach seinem Puls. Eine Träne kullerte über ihre Wange und tropfte in die scharlachrote Pfütze unter ihr.
»Papa? Hörst du mich?«
»Marie!« Oliver warf ihr einen Lappen zu, der schmierig von Polierpaste war. »Drück ihn ganz fest auf die Wunde. Dein Vater ist bewusstlos, er wird keine Schmerzen haben. Mach schon, Süße, bitte!«
Marie zögerte, dann presste sie den schmutzigen Lappen mit aller Kraft auf die Brust ihres Vaters. Das Geräusch, das das Tuch in der tiefen Stichwunde verursachte, sorgte dafür, dass ihr wieder schlecht wurde. Diesmal benötigte sie ein paar tiefe Atemzüge, bis es ihr besser ging und der metallische Geruch des Blutes aus ihrer Nase verschwunden war. Sie konnte nicht verstehen, was gerade passierte. Mechanisch hatte sie Olivers Anweisung befolgt. Erst jetzt, als er mit einem Stapel Verbände auf sie zukam und erklärte, dass er die Blutung durch einen Druckverband stoppen wolle, erwachte Marie aus ihrem Trancezustand.
»Was tun wir
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