Die Muse des Mörders (German Edition)
Herz schien in ihrer Brust zerspringen zu wollen, als sie die unregelmäßige Blutspur entdeckte, die mitten auf dem Platz begann und sich bis in den Durchgang hineinzog. Das eingetrocknete Blut war mit einem gelben Schildchen markiert worden, auf dem eine schwarze Drei stand.
Madeleine beschleunigte ihre Schritte. Sie musste wissen, was hier vorgefallen war. »Etwas Schreckliches wird passieren.« Sie war davon ausgegangen, dass die Drohung ihr gegolten hatte. Als sie näherkam, hörte sie durch den Hof ein Geräusch hallen, das sie als verzweifeltes Weinen einer Frau oder eines Mädchens ausmachte.
»Ihr könnt ihn mir nicht auch noch wegnehmen!«
Sofort mischte sich Mitleid in die Kombination aus Entsetzen und Furcht, die Madeleines Inneres erfüllte.
»Beruhigen Sie sich bitte«, hörte sie eine ihr bekannte männliche Stimme sagen.
Bewegung kam in die Menschenmenge im Durchgang, das Absperrband wurde an einer Seite gelöst und Dominik Greve trat auf den Platz, begleitet von einer Frau in Zivil, die trotzdem sofort als Polizistin zu erkennen war.
»Keine Großeltern? Tanten? Onkel?«, fragte Greve.
»Nein, niemand. Ihr Vater war ihr einziger …« Die Frau entdeckte Madeleine und auch Greve nahm jetzt Notiz von ihr. Er blieb stehen und sein gereizter Blick nahm einen verwunderten Ausdruck an.
»Frau Scuderi?«
Madeleine spürte, wie Tränen ihre Augen füllten, ohne dass ihr Verstand die Situation erfasst hatte.
»Was ist hier passiert?«, fragte sie, während das Mädchen im Hintergrund immer noch weinte und schrie.
Greve schüttelte den Kopf und sah zurück zum Tatort und auch die junge Frau wirkte unschlüssig, ob sie ihr Auskunft geben sollte. Hinter Madeleine ertönte eine Hupe. Alle drei blickten zum Eingang, wo sich ein großes schwarzes Fahrzeug neben den Polizeiwagen geschoben hatte. Sofort erkannte sie, dass es ein Leichenwagen war.
»Frau Scuderi, was wollen Sie hier?« Greve klang gestresst.
Sie hörte seine Worte, doch sie hörte nicht zu. Sie lief los, vorbei an den beiden Polizisten und auf das offene Absperrband zu.
Niemand hielt sie auf. Ihr resoluter Schritt überzeugte die Anwesenden anscheinend davon, dass sie hier etwas zu suchen hatte. Überall war Blut. Auf dem Boden und als langgezogene Schliere an der Wand, als habe sich ein schwer Verwundeter dort festhalten wollen.
»Sind Sie die Großmutter von der Kleinen?«
Sie ignorierte die Frage, denn sie wusste nichts darauf zu antworten, und ging weiter. Hinter dem Durchgang zu ihrer Linken befand sich ein Jägerzaun, dessen blutbesprenkeltes Tor weit offen stand. Dahinter auf dem Boden setzte sich die Blutspur fort bis zu einer Tür, die in das Haus gegenüber von Kardos’ Laden führte. Die Schreie des Mädchens kamen von dort.
Madeleine trat entschlossen ein, dann bereute sie es sofort und ihr stockte der Atem. Der Einrichtung und den Werkzeugen nach zu urteilen, war das hier die Werkstatt des Goldschmieds. Auf dem Boden mündete die Blutspur in eine riesige Lache. Mitten darin lag der mit einem Tuch bedeckte Körper eines Toten. Eine blutverschmierte Hand schaute hervor und neben der Leiche kniete eine junge Frau, deren hellblauer Schlafanzug mit Blut besudelt war. Auch in ihren honigblonden Haaren klebte Blut und ihre Hände, mit denen sie immer wieder nach zwei überforderten Beamten schlug, waren voll davon.
»Sie sollen Oliver zurückbringen!«, schrie sie. »Ich habe doch sonst niemanden mehr! Ich habe überhaupt niemanden mehr!« Voller Verzweiflung griff sie nach dem Leichentuch, doch einer der Beamten zog ihren Arm grob zurück.
Ihre blauen Augen waren riesig und wenn ihr Gesicht gerade nicht von Trauer und Entsetzen entstellt war, musste sie wunderschön sein. Die Ähnlichkeit zu ihrem Vater war unverkennbar. Madeleine trat vorsichtig einen Schritt nach vorn und ließ ihren Blick über den bedeckten Leichnam wandern.
In diesem Augenblick stürzte Dominik Greve in das Atelier. Er packte sie an der Schulter und drehte sie unsanft zu sich herum.
»Was zur Hölle suchen Sie hier? Sie verunreinigen einen Tatort.«
»Ist das …«, hörte sie sich selbst fragen.
»René Kardos, der Goldschmied«, sagte Greve und führte sie nach draußen.
»Was … was ist passiert?«
»Darüber werde ich mit Ihnen sicher nicht sprechen. Was suchen Sie überhaupt hier?«
Madeleines Blick glitt zu dem verzweifelten Mädchen, dessen Klagen lauter geworden war. Die beiden Polizisten hatten es
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