Die Muse des Mörders (German Edition)
dann ging sie und Madeleine konnte sehen, dass auch ihre Augen feucht waren. Marie zog eines der Papiertücher aus der Box und schnäuzte sich geräuschvoll. Sie versuchte sichtlich, sich ein wenig zu beruhigen.
»Wir waren glücklich«, sagte sie schließlich. Ihre Stimme klang nun etwas fester. »Verstehen Sie das, Frau Scuderi? Warum konnte dieser Mörder nicht jemand anderen umbringen?« Hilfloser Zorn schwang in ihren Worten mit und die Art, wie sie »dieser Mörder« sagte, machte Madeleine klar, dass sie von der Unschuld ihres Freundes überzeugt war.
Madeleine fasste sich ein Herz. Sie wollte sich selbst eine Meinung bilden, doch das konnte sie nur, wenn sie von dem Mädchen erfuhr, was in der letzten Nacht geschehen war.
»Marie, das ist sicher nicht leicht für dich, aber könntest du mir erzählen, was genau passiert ist?«
In kurzen, abgehackten Sätzen schilderte Marie die traumatisierenden Ereignisse. Mitten in der Nacht war ihr Freund Oliver blutverschmiert in ihr Zimmer gestürmt. Wo er vorher gewesen war, konnte sie nicht sagen. Er hatte sie in die Werkstatt gebracht, wo ihr verblutender Vater gelegen hatte, den Oliver in diesem Zustand aufgefunden haben wollte. In der Brust des Goldschmieds hatte eine Wunde geklafft, doch ein Messer hatte nicht darin gesteckt. Die beiden hatten verzweifelt versucht, die Blutung zu stoppen, doch es war vergeblich gewesen. Wenige Minuten nach Maries Eintreffen war ihr Vater der schweren Verletzung erlegen. Verschwommen glaubte sich das Mädchen daran zu erinnern, dass er auch aus einer Wunde an der Schläfe geblutet hatte.
»Da war so viel Blut …«, stammelte Marie und griff nach einem neuen Taschentuch. »Sein Blut war überall.«
Madeleine überlegte. Wenn sie bedachte, dass dieser Oliver sich mitten in der Nacht herumgetrieben hatte und dann aufgetaucht war, ohne Marie zu erklären, wie er ihren halbtoten Vater gefunden hatte, ließ ihn das nicht gerade wie einen Unschuldigen dastehen. Marie beteuerte aber immer wieder, dass Oliver der beste und feinfühligste Mensch sei, dem sie je begegnet war. Dass er nie auch nur ein böses Wort verloren hatte, schon gar nicht über seinen Meister, dessen Künste er bedingungslos verehrt hatte. Auch Madeleine wurde ein wenig stutzig. Weil der Goldschmied durch einen Stich in die Brust gestorben war, würde die Polizei nun zweifellos versuchen, dem jungen Lehrling auch die anderen Dolchstoßmorde zuzuschreiben. Nur passte Oliver Brunner, den Marie so hingebungsvoll beschrieb, so gar nicht zu dem Bild, das Madeleine und wahrscheinlich auch der Rest der Stadt von dem kaltblütigen, durchtriebenen Psychopathen hatte, der in Wien sein Unwesen trieb. Vielleicht hatte der arme Oliver einfach das Pech gehabt, den sterbenden Goldschmied nachts aufzufinden. Warum hatte er aber von Marie verlangt, keinen Arzt zu rufen, und wie war die Polizei dann auf ihn gekommen? Madeleines offene Fragen türmten sich zu einem unbezwingbaren Berg auf. Sogar für ihren klaren Verstand waren die Dinge, die im Moment vor sich gingen, ein undurchschaubares Rätsel. Noch immer hatte sie das Gefühl, etwas ganz Wesentliches zu übersehen.
»Sie müssen Oliver freilassen. Ich habe doch niemanden mehr.« Marie blickte auf und sah Madeleine aus glasigen Augen an. »Sie müssen mir helfen, Frau Scuderi.«
64.
Dominik verstand nicht, warum Reinhardt ihn nicht wenigstens jetzt in Ruhe lassen konnte. Nach allem, was geschehen war. Anstatt ihm dankbar zu sein, hackte er nun seit gut zehn Minuten auf ihm herum und machte ihm Vorhaltungen.
»Sie verschwenden Geld, Zeit und Beamte. Mit Ihren Methoden kommen Sie nicht weiter, Greve. Was soll ich dazu noch sagen?«
»Wie wäre es ausnahmsweise mit Danke? Immerhin konnte mein Team den Mörder festnehmen.«
»Ich bitte Sie, das war nun wirklich nicht Ihr Verdienst. Hätte es diesen anonymen Hinweis nicht gegeben, dann würden Sie immer noch durch Wien irren wie ein Kleinkind auf der Suche nach seiner Mama.«
»Hinweise kommen in der Regel von Zeugen. Ob diese anonym sind oder nicht, spielt doch wohl keine Rolle.«
»Als würde es mir darum gehen. Kommen Sie, Sie verstehen doch genau, was ich meine. Sie lassen nach, mein Lieber. Gut, die Festnahme dieses Jungen ist ein Anfang, aber ohne Geständnis wertlos. Sie wissen so gut wie ich, dass wir ohne Beweise rein gar nichts ausrichten können. Jeder Jusabsolvent könnte diesem Brunner im Nu einen Freispruch bescheren.« Reinhardt beugte sich nach
Weitere Kostenlose Bücher