Die Muse des Mörders (German Edition)
an den Armen in die Höhe gezogen und versuchten, es von seinem toten Vater wegzuschaffen.
»Bringt mir Oliver zurück! Er ist unschuldig!«
»Marie Kardos.« Greve deutete mit dem Kopf zu dem Mädchen. »Sie ist bei ihrem Vater aufgewachsen. Ist natürlich völlig hysterisch.« Es war das erste Mal, dass Madeleine so etwas wie Mitgefühl in der Stimme des Chefinspektors hörte.
»Wo wird sie hingebracht?«
»Zuerst aufs Revier und dann müssen wir sehen, wo wir sie unterbringen. Verwandte gibt es anscheinend nicht.«
»Oliver, hilf mir!« Das Mädchen wehrte sich mit allen Kräften und die Männer hatten Mühe, es festzuhalten. Einer von ihnen fluchte leise, als ihm der Arm von Kardos’ Tochter entglitt und sie ihm, völlig außer sich, die Nägel in die Wange schlug.
»Wer ist Oliver?«, fragte Madeleine.
Greve schüttelte den Kopf.
»Es tut mir leid, dass Sie durch dieses Geschenk in die ganze Angelegenheit hineingezogen worden sind, Frau Scuderi, aber es geht hier um vertrauliche Informationen.« Damit wandte er sich ab, um sich wieder seiner Arbeit zu widmen.
Madeleine warf einen schmerzvollen Blick auf den toten Goldschmied. Ihr Gewissen drohte, sie zu erdrücken. Wenn sie den Zettel nicht vor der Polizei verborgen hätte oder zumindest gleich gestern Abend hergekommen wäre, hätte der Mann vielleicht nicht sterben müssen.
»Bringt mich zu Oliver! Ich hab doch sonst niemanden!«
Marie wurde aus der Werkstatt ihres toten Vaters geführt. Ihr flehender Blick begegnete dem Madeleines und berührte sie tief im Herzen. Sie wusste, wie es war, niemanden mehr zu haben, und sie hatte die Mittel, sich um jemanden zu kümmern, der allein oder verzweifelt war. Das hatte sie schon zwei Mal bewiesen und sie würde es auch ein drittes Mal können.
»Chefinspektor Greve, warten Sie!«
Greve drehte sich im Gehen zu ihr um.
»Wenn Sie mit Kardos’ Tochter gesprochen haben …« Sie blickte kurz zurück zur abgedeckten Leiche, deren Hand sich ihr entgegenzustrecken schien. »… dann würde ich sie gerne bei mir aufnehmen.«
62.
»Sie machen bei dieser Frage von Ihrem Schweigerecht Gebrauch?« Silvia Lange lehnte sich zurück und betrachtete Oliver Brunner ausdruckslos. Dominik wusste, wie sie sich fühlte. Hilflos und wütend zugleich. Anders als in Actionfilmen und Krimiserien durften sie den Verdächtigen weder anfassen noch bedrohen oder ihn sonst irgendwie zu einem Geständnis zwingen. Stattdessen mussten sie sich Lügen anhören und genau darauf achten, welche Fragen sie stellten, damit im Protokoll nachher auch alles nachvollziehbar klang. Anderenfalls hatte der Beschuldigte die Chance, vor Gericht zu behaupten, er sei unter Druck gesetzt worden.
Brunner nickte, wobei seine Augen starr auf die Tischplatte gerichtet blieben.
»Gut. Ich darf Ihr Schweigen nicht negativ interpretieren, also …« Silvia brach ab und kratzte sich mit dem Ende des Kugelschreibers an der Schläfe.
Dominik sah sich das Verhör aus dem Hintergrund an. Er lehnte an der Wand neben der Tür und schwieg genau wie der Junge, beobachtete seine Kollegin jedoch genau.
»Fahren wir fort.« Silvia nahm den Kugelschreiber fest in die Hand und zog einen Strich unter ihre Notizen. »Sie geben also zu, dass Sie sich in der Nacht von Sonntag auf heute im Praterpark und auf den umliegenden Straßen befunden haben.«
»Ja. In der Nacht, den frühen Morgenstunden.« Oliver nickte leicht.
»Sie geben ebenfalls zu, dass sich außer Ihnen noch ein weiterer Mann dort aufhielt?«
»Ja.«
»Sie geben weiter zu, dass es sich bei diesem zweiten Mann um den Vater Ihrer Freundin handelte, um René Kardos?«
»Ja und dort war noch ein weiterer Mann.« Brunner hob den Blick und sah erst Silvia, dann Dominik an. Es war das erste Mal, dass der Junge aufschaute, seit er hier im Verhörraum war. Sein Gesicht war kreidebleich und er konnte die Hände nicht ruhig halten.
Dominik wäre gerne eingesprungen und hätte Brunner nun selbst befragt, aber er wusste, dass er damit einen Verstoß begangen hätte. Stattdessen musste er hoffen, dass Silvia nicht die falschen Fragen stellte.
»Wer war dieser Mann?«
»Das habe ich nicht erkennen können. Es ging alles so schnell.«
»Schildern Sie mir die Situation bitte genauer.«
»Das habe ich doch schon zwei Mal.« Oliver senkte den Blick wieder. »Ich wollte einen Spaziergang machen, zusammen mit dem Vater meiner Freundin.«
»Nachts? Gut vier Kilometer von ihrem Zuhause
Weitere Kostenlose Bücher