Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
Vom Netzwerk:
geblieben war. Dass sie bisher nicht in Richtung Pferd ermittelt hatten, dämpfte das Hochgefühl in keiner Weise.
    Erst nach ein paar Minuten meldete sich ein Zittern im Innern, ein dünnes Stimmchen in der Herzgrube. «Du musst es jemandem sagen, Vera. Du bist zusammengezuckt. Jede Wette, du hast ihn entsetzt angestarrt, und er hat es bemerkt. Ruf Klinkhammer an! Nein, den nicht. Ruf Hennessen an! Das ist eine gute Gelegenheit. Bitte ihn um ein Gespräch unter vier Augen, um die Sache aus der Welt zu schaffen. Du brauchst Udo nicht direkt zu beschuldigen. Du fragst einfach, ob er sich vorstellen kann, dass einer der Jungs, die in seinem Stall ein und aus gehen   …»
    Vielleicht forderte nur der Tag seinen Tribut. Möglich, dass ich einen Fluchtweg suchte. Den Kopf zur Abwechslung mit anderem Blut füllen. Stutenblut! Es tat gut, und der Heimweg, vielmehr das Wissen um die Einsamkeit da draußen, bauschte es auf. Der leere, dunkle Hof, die große, finstere Scheune, das verlassene Haus. Und darüber die Vision eines bluttriefenden Messers in der Hand einesverzweifelten jungen Mannes. Immer noch angenehmer, als das Messer in Nitas Hand zu sehen.
    Hatte Udo mein aufblitzendes Licht gesehen? Hatte ihm sein Blick in weite Fernen gezeigt, was er jetzt tun musste? Das Stimmchen im Innern wurde lauter und energischer. «Fahr zurück in die Stadt, Vera. Du kannst die Nacht nicht allein auf dem Hof verbringen. Fahr zur Praxis und sprich mit Jürgen. Nicht über Udo, da wird er dich nur wieder für übergeschnappt halten. Frag ihn stattdessen, ob er übergeschnappt oder was ihm sonst in den Sinn gefahren ist, nicht heimzukommen an so einem Tag.»
    Dass er tatsächlich nicht da war, sah ich schon etliche hundert Meter vor der Einfahrt. Wo der Hof lag, herrschte tiefste Nacht. Das sperrangelweit offen stehende Scheunentor winkte mich heran wie Luzifers Finger am Eingang zur Hölle. Wäre ich wenigstens so schlau gewesen, auf dem Hof zu halten. Aber es war Vaters Mercedes, umhegt, gepflegt und niemals unnötig den Witterungseinflüssen ausgesetzt. Ich war in die Scheune gefahren, bevor es mir bewusst wurde.
    Solange ich noch im Wagen saß und die Scheinwerfer brannten, war es erträglich. Kaum hatte ich das Licht ausgeschaltet, begannen um mich herum Dämonen zu tanzen. Fürchterliche Fratzen, die nur entfernte Ähnlichkeit mit Udos biederem Gesicht hatten. Sie sahen eher aus wie Nita und André Menke. Aber die beiden waren nicht in der Nähe. Und Udo war vor mir vom Krankenhausparkplatz gefahren. Auf der Landstraße hatte ich den blauen Kombi nicht mehr gesehen. Er konnte längst hier sein. Ich fühlte, dass ich mich hineinsteigerte. Und ich wollte es mit Udo nicht so machen wie mit Hennessen.
    Sei vernünftig, Vera. Was hat er denn gesagt? Doch nur, dass seine Schwester und ihre Kinder sterben mussten, weil er bei Hennessen saß. Ein bisschen auf die Pferde geflucht, mehr hat er nicht getan. Jetzt reiß dich zusammen und sieh zu, dass du ins Haus kommst. Es gibt noch viel zu tun.
    Es kostete Überwindung, auszusteigen, durch die absolute Finsternis auf das graue Viereck des Tores zuzulaufen und dann über den stockdunklen Hof. Ich verfluchte mich, dass ich beim Verlassen des Hauses vergessen hatte, die Hoflampen einzuschalten.
    Kein angenehmer Gedanke, mehr als einen Kilometer vom nächsten bewohnten Gebäude entfernt zu sein. Aber er hielt mich aufrecht. Eingebildete Bedrohungen für das eigene Leben sind erträglicher als stinkende Kanalrohre oder feuchtkalte Gräber neben Autobahnrastplätzen.
    Ich beeilte mich, ins Haus zu kommen, verschloss die Tür hinter mir und vergewisserte mich dreimal, dass das Schloss auch funktionierte. Dann machte ich Licht im gesamten Erdgeschoss, auf der Treppe und der Galerie. Am liebsten hätte ich auch in sämtlichen oberen Räumen Festbeleuchtung eingeschaltet. Aber ich hatte noch einen winzigen Rest Hoffnung, dass es Jürgen mit seinem Vorhaben nicht ernst gewesen oder dass ihm die Couch im Sprechzimmer zu unbequem war. Ich wollte mich nicht von ihm auslachen lassen.
    Mir war übel; vor Furcht, von Klinkhammers Thesen, und ich hatte seit dem Frühstück nichts mehr gegessen. In einem der Küchenschränke fand ich eine Schachtel mit Keksen. Dazu ein Rémy Martin und zur Unterhaltung und Ablenkung die Bedienungsanleitung des Anrufbeantworters. Nachdem ich den ersten Schluck getrunken und die ersten Sätze studiert hatte, machte sich eine sonderbare Gelassenheit in mir breit. Es war mehr

Weitere Kostenlose Bücher