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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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und schnitt die Stimme ab.
    Nicht dass die Zimmertüren schalldicht gewesen wären. Als die Schwester zu sprechen begann, verstand ich jedes Wort. «So geht das wirklich nicht. Ich habe es Ihnen jetzt oft genug gesagt, wenn Sie streiten wollen, tun Sie das daheim, aber nicht hier. Das ist wahrhaftig kein Ort, Ihre Differenzen auszutragen. Sie gehen jetzt beide, auf der Stelle! Ich kümmere mich schon darum, dass Herr Kuhlmann eine ruhige Nacht hat.»
    Ich beeilte mich, an 205 vorbei zum Aufzug zu kommen. Die Kabine war noch da, ich musste nur die Tür öffnen und einsteigen. Und gerade als ich einstieg, ging die Tür von 205 auf. Udo von Wirth kam heraus und direkt auf mich zu. Er sah mich nicht, blickte über die Schulter nach hinten. Dann drehte er sich ganz um, kam langsam rückwärts gehend weiter auf mich zu. Ich hatte noch nicht den Knopf gedrückt.
    «Sie auch», sagte die Schwester. «Ich habe den Ärger jetzt dicke.» Ich sah sie in der offenen Tür stehen, mit ausgestrecktem Arm in den Flur zeigend.
    Udo stieg mit dem Rücken zu mir in die Kabine und hielt die Tür für den älteren Mann auf, den die Schwester aus Kuhlmanns Zimmer warf. Der Mann bedachte Udo mit einem finsteren Blick und ging vorbei. Udos Schultern sackten nach unten. Er gab einen Laut von sich, der wie ein Schluchzen klang. Dann wollte er auf den Knopf für das Erdgeschoss drücken. Dafür musste er sich umdrehen, und in dem Moment sah er mich. Er zuckte zusammen wie unter einem elektrischen Schlag und wusste nicht, wohin er schauen sollte.
    Um uns beiden die Peinlichkeit erträglicher zu machen, fragte ich: «Wie geht es Ihrem Schwager?»
    Er starrte mich an, als hätte er nicht verstanden. Ich wiederholte meine Frage. Er zuckte mit den Schultern und murmelte: «Rudi packt das nicht.»
    Die Aufzugkabine stand noch immer im zweiten Stock. Ich drückte den Knopf. Die Innentüren schlossen sich. Udo musste sich zweimal räuspern, ehe er weitersprechen konnte.
    «Mein Vater will ihn in die Klapsmühle stecken lassen. Das können sie doch nicht machen. Rudi ist nicht verrückt, er ist nur   … Er liegt im Bett und schaut die Decke an.»
    Unvermittelt begann er zu weinen. «Alles ist kaputtgegangen. Annegret hätte nicht sterben dürfen.»
    Der Aufzug hielt. Die Innentüren glitten auseinander. Udo drückte die Außentür auf und fragte: «Wie geht’s denn Ihrem Vater?»
    «Besser.»
    Er nickte flüchtig. «Das ist gut, das freut mich. Er ist ein feiner Kerl, Ihr Vater. Hab mich ja oft mit ihm unterhalten.» Er ließ mich an sich vorbei, folgte mir wie ein geprügelter Hund durch den Korridor zur Notaufnahme und hinaus ins Freie.
    «Wie kann so was passieren?», fragte er, als wir den Parkplatz erreichten. «Ich denk und denk und denk, aber ich begreif’s nicht.» Seine Augen wanderten über den Platz, als suche er nach seinemVater. Der war entweder längst weg oder wartete irgendwo im Schatten des Gebäudes, dass Udo verschwand. Er schaute über mich hinweg und sprach weiter, als rede er mit sich selbst.
    «Ich hätte fahren sollen. Annegret hat mich gefragt, ob ich’s mache. Nicht, dass sie sich nicht zugetraut hätte, bei dem Wetter zu fahren. Sie hatte vor nix Angst. Sie hatte nur noch ’ne Menge zu tun. Aber Hennes hatte mich auch gefragt, ob ich ihm ein bisschen zur Hand gehen kann, wenn der Scheißgaul abgeholt wird. Ich hatte ihm schon zugesagt, als Annegret mich fragte. Dann hab ich im Stall rumgesessen, den ganzen Vormittag, und der Engländer kam nicht. Für nichts und wieder nichts hab ich da gesessen bis kurz vor zwei. Als ich endlich kam, war Annegret schon weg mit den Kindern. Ich glaub, da waren sie schon tot. Und wofür mussten sie sterben? Für ein gottverdammtes Pferd!»
    Er schaute immer noch über meinen Kopf hinweg in weite Fernen. Und ohne mich noch weiter zu beachten, ging er zu einem blauen Kombi, stieg ein und fuhr los. Und in dem Moment wusste ich, wer Hennessens Zuchtstute getötet hatte.

9.   Kapitel
    Die Erkenntnis war wie ein Schlag in den Nacken, so heftig, dass die Gedanken und einiges andere durcheinander gewirbelt wurden. Sämtliche Kanalrohre und Klinkhammers Hypothesen gerieten kurzzeitig in den Hintergrund. Allein die Vorstellung, dass sich dieser Bär von einem Mann auf ein wehrloses Tier gestürzt hatte   …
    Auch wenn es nur einer von den Momenten war, in denen man das bewusste Licht aufleuchten sieht – es war ein Triumph; ich hatte etwas erkannt, was der tüchtigen Polizei verborgen

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