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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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einen nervös tänzelnden jungen Hengst und einen kräftigen jungen Mann, der nach den Zügeln greift. Und ein lachendes junges Mädchen, das einen braunen Hals tätschelt und beim Aufsteigen den Kopf in den Nacken wirft   …
    Den Kopf findet man immer, er dominiert. Ich fand auch das wieder, was Freda Jankowik für einen zweiten Kopf gehalten hatte. Es musste der Rücken sein. Es konnte nur der Rücken sein. Es gab ja nur ein Herz.
    Ich machte einen Abzug und wollte Freda Jankowik zu Jasmin schicken, um den nächsten Termin zu vereinbaren. Die Laborwerte sollte Jürgen selbst in den Mutterpass eintragen, er konnte sie beurteilen, ich nicht.
    Bevor sie den Raum verließ, erkundigte sie sich zögernd: «Es ist doch alles in Ordnung mit dem Baby?»
    «Natürlich, was soll denn nicht in Ordnung sein?»
    Ich dachte, sie mache sich Sorgen, weil ich keine Eintragungen vornahm, und wollte ihr das erklären. Doch bevor ich dazu kam, sagte sie leise: «Ich weiß nicht. Irgendwie habe ich ein komisches Gefühl. Wie soll ich Ihnen das beschreiben? Ich freue mich so auf das Kind. Und wenn man sich zu sehr freut, geht meist etwas schief. Bei mir ist es immer so gewesen.»
    «Diesmal bestimmt nicht», sagte ich und schaffte ein Lächeln. «Es besteht kein Grund zur Besorgnis.»
    Sie lächelte ebenfalls, schüchtern und unsicher. «Aber der Doktormeinte bei der letzten Untersuchung, er müsse sich das in ein paar Wochen noch einmal genau ansehen. Es sei noch zu früh, um etwas zu sagen.»
    «Dann haben sie ihn sicher gefragt, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist.»
    Sie nickte.
    «Sehen Sie», sagte ich, «dafür war es wirklich noch etwas zu früh. Beim nächsten Mal können wir es feststellen.»
    Nachdem Freda Jankowik die Tür hinter sich geschlossen hatte, saß ich minutenlang da und versuchte mich zu erinnern, was Jürgen mir sonst noch aufgetragen hatte. Es fiel mir nicht ein. Erst als Jasmin hereinkam und wissen wollte: «Was machen wir jetzt mit Frau Scheller? Da wäre die Halbjahresinspektion zu machen für ein neues Rezept», wusste ich es wieder. Schmeiß sie alle raus, hatte er gesagt.
    «Ich mache das», sagte ich. «Es geht bestimmt auch ohne Untersuchung.»
    «Wollen Sie das Rezept unterschreiben?»
    «Ob ich nun einen Kringel darunter setze oder mein Mann. So genau schaut doch keiner hin.»
    Jasmin sah das auch so. Und Frau Scheller war froh, dass sie ihr Rezept bekam und nicht noch einmal wiederkommen musste. Rena war auch froh gewesen, als ich ihr kurz nach dem Umzug die Packung in die Finger drückte. «Hier, aber sorg dafür, dass Papa sie nicht zu Gesicht bekommt. Er köpft mich, wenn er das erfährt.» Ungläubig angeschaut hatte sie mich. «Aber Papa hat doch gesagt, meine Organe sind noch nicht völlig ausgereift.»
    «Dafür sind die Pickel mehr als reif.»
    «Danke, Mutti. Das ist echt klasse von dir. Ich tu sie gut weg, das verspreche ich dir. Er kommt ja auch nie in mein Zimmer.»
    Nach Frau Scheller kam noch eine Pilzinfektion. Ich hatte oft genug neben dem Stuhl gestanden und zugeschaut. Den Abstrich zu nehmen war kein Problem, die mikroskopische Untersuchungübernahm Sandra Erken. Ich musste nur ein weiteres Rezept ausstellen, konnte mich in der Patientenkarte orientieren, was Jürgen bei früheren Infektionen dieser Art verordnet hatte.
    Auch die ältere Frau, die zur Nachsorge nach einer Uterus-Resektion erschien, machte keine Schwierigkeiten. Sie fühlte sich recht gut, hatte keine Schmerzen, war nur noch ein bisschen wacklig auf den Beinen. Ich verordnete ihr ein Eisenpräparat und gab die üblichen Ratschläge zur Schonung.
    Als Jürgen kurz vor eins kam, war Sandra Erken längst auf dem Weg zum Kindergarten und das Wartezimmer leer, und alle waren mit mir zufrieden gewesen. So wie Rena, als die erste Packung leer war und ich ihr Ersatz besorgte aus Jürgens unerschöpflichen Vorräten. «Es hilft wirklich, Mutti, sieh nur, meine Stirn sieht schon besser aus.»
    Jürgen war nicht zufrieden. «Bist du wahnsinnig? Du kannst doch hier nicht anfangen zu behandeln.» Es klang nicht nach Vorwurf, nur erschöpft und deprimiert. Er beruhigte sich wieder. Sein Vormittag ließ sich in einem Wort zusammenfassen: Nichts.
    Wir fuhren heim. Er ließ mich ans Steuer, was er sonst nie tat. Er hatte nichts dagegen gehabt, dass ich den BMW fuhr. Nur wenn er dabei war, war es sein Wagen. Und jetzt   … Er war müde auf eine so endgültige Art. Er war alt und krank. So alt und krank hatte Vater nicht einmal in

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