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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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mir eine Hose anzog. Mein Mantel war zu nass, um ihn noch einmal überzuziehen. Ich nahm Annes Jacke und ihre Gummistiefel. Jürgen nahm mit einem Grunzen, das auch ein Fluch sein konnte, seine Lodenjacke vom Garderobenbügel.
    Er hatte die Jacke bis dahin nie getragen. Gekauft hatte er sie, weil ein zünftiger Landmann so etwas braucht. Dann fand er selbst, dass er lächerlich darin aussah. Jürgen ist nur eins fünfundsechzig groß und schlank ist er nie gewesen. Ich weiß nicht, wie viel er wog. Wir haben nie über sein Gewicht gesprochen. Ich bin nicht einmal sicher, ob er sich je auf eine Waage gestellt hat. Ich hatte ihn nie kritisiert oder mich über seine Figur lustig gemacht. Aber als er damals mit diesem grünen Ding ankam und im Wohnzimmer auf und ab stolzierte wie ein Gockel, konnte ich mir das Lachen nicht verkneifen. Seitdem hing die Jacke auf dem Bügel an der Garderobe, ein Dekorationsstück für fünfhundert Mark. Manchmal war er wie ein Kind.
    «Wir versuchen es mit deinem Wagen», sagte er, während er in seine Gummistiefel schlüpfte.
    «Irrtum, damit kommen wir keine hundert Meter weit.»
    «Es wird schon irgendwie gehen. Ich fahre. Laufen werde ich jedenfalls nicht, und den BMW setze ich da draußen nicht in den Dreck.» Er nickte grimmig und fügte hinzu: «Für den Rest der Woche ist der Reitstall gestrichen.»
    Das waren nur noch zwei Tage, aber es war immerhin etwas. Er musste sehr wütend sein, wenn er sich dazu hinreißen ließ, eine Strafe zu verhängen. Mit den letzten Worten ging er auf die Haustür zu. Bevor er sie öffnete, strich er sich mit der Hand übers Haar, als könne er es auf diese Weise schützen.
    Da wir ohnehin zur Scheune mussten, um mein Auto zu holen, brachte Jürgen den BMW in Sicherheit. Dann quetschte er sich hinter das Steuer meines Fiestas. Er bog hinter der Einfahrt scharf nach links ab. Damit fuhren wir nicht auf, sondern neben dem Weg über den Ackerboden. Aber wir fuhren nicht, wir rollten im ersten Gang.
    Nach etwa siebenhundert Metern tauchte rechts vor uns, dicht am Bahndamm, ein unförmiges gelbes Bündel im Scheinwerferlicht auf. Bis zur ersten Unterführung mochten es noch hundert oder hundertfünfzig Meter sein.
    Jürgen hielt an. Ich hörte ihn zischend die Luft einziehen. Und mir schien auch, dass er blass wurde. Mein Herz setzte aus. Sekundenlang hatte ich das Gefühl, an etwas Leerem im Innern zu ersticken. Dann polterte es in mir los, als seien Herz und Lunge in die Bauchhöhle gefallen.
    Renas Regencape war gelb. Es war keiner von den gummiartigen, kräftig gefärbten Mänteln. Es war ein Umhang mit Kapuze in der Art eines Ponchos, nur viel länger. Gefertigt aus dünnem, durchscheinendem Plastikmaterial, ließ es sich zu einem kleinen Bündel falten und bequem in einer Tasche unterbringen.
    Jürgen stieg aus, den Motor ließ er laufen. Er ging vorne um den Fiesta herum, sprang über die erste wassergefüllte Rinne und weiter über die zweite. Dabei rutschte er aus, kam auf Händen und Knien neben dem Bündel zu liegen und untersuchte es mit hektischen Bewegungen. Nach zwei Sekunden war er wieder auf den Beinen und schüttelte den Kopf.
    Was ich für Rena im Regencape gehalten hatte, war nur einer von den gelben Säcken, die die Stadtverwaltung zum Sammeln vonwieder verwertbarem Müll an alle Haushalte hatte verteilen lassen. Er war prall gefüllt mit irgendwelchem Abfall.
    Jürgen kam zurück, stieg ein, wischte sich die schmutzigen Hände an der Hose ab, strich mit einer Hand über Stirn und Augen. Ihm tropfte das Wasser von der Nasenspitze und die dünnen blonden Haare klebten auf der Kopfhaut. Aber seine Wut war verraucht. Das Bündel im Dreck hatte ihm einen tüchtigen Schreck eingejagt. «Fahren wir weiter.»
    Es ging nicht weiter, wir steckten fest. Die kurze Zeit hatte gereicht, die Räder im Morast versinken zu lassen. Mit jedem Versuch, den Fiesta freizubekommen, schraubten sie sich tiefer hinein. Beim Versuch, den Wagen ein Stück vorwärts zu schieben, rutschte Jürgen noch einmal aus und fiel der Länge nach in den Matsch.
    Also doch zu Fuß. Noch hundert oder hundertfünfzig Meter bis zur ersten Unterführung, fünf- oder sechshundert bis zur zweiten, dreizehnhundert bis zu Hennessen. Ich hatte eine kleine Taschenlampe im Auto, wir nahmen sie mit. Der Lichtkegel war winzig und die Batterie schwach. Die Lampe versagte nach kurzer Zeit den Dienst. Wir hatten nicht einmal die Hälfte des Weges hinter uns. Jürgen stampfte mit gesenktem

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