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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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hereinmarschiert», sagte er. «Ich beiße bloß ins Butterbrot. Nehmen Sie sich einen Kaffee, wenn Sie eine Tasse finden. Er müsste noch heiß sein.»
    Dann erst fragte er: «Was gibt’s denn? Haben wir wieder einen Quertreiber, der es uns nicht gönnt, eine halbe Stunde friedlich auf unserem Hintern zu sitzen? Oder haben wir ein ernsthaftes Problem? Ich hab’s nicht klingeln hören.»
    Wir hatten weder einen Quertreiber noch ein ernsthaftes Problem, nur einen Patienten mit Schlafstörungen.
    «Fragen Sie ihn, ob er auch einen Kaffee will», sagte Jürgen. «Wenn wir ihn richtig wach kriegen, können wir vielleicht ’ne Runde Skat spielen.»
    Zuerst fand er mich schüchtern, dann steif, dann prüde, dann niedlich. «Vera», sagte er, «der Name passt nicht zu dir. Er klingt viel zu streng.» Anfangs nannte er mich Röschen, weil ich leicht errötete. «Jetzt blüht sie wieder.» Wie oft habe ich das damals von ihm gehört.
    Er lud mich für einen Dienstagabend zum Essen ein, dann reichte angeblich sein Geld nicht. Stirnrunzelnd studierte er die Rechnung und meinte: «Röschen, wir hätten uns für Bier entscheiden sollen. Die haben hier happige Preise für eine Flasche Wein.» Dass der Ober neben unserem Tisch stand, störte ihn nicht. Er lächelte mich an. «Ich hoffe, du kannst mir mit einem Fünfziger aus der Patsche helfen.»
    Natürlich konnte ich, nur war es mir peinlich, das vor dem wartenden Ober zu tun. Ich versuchte es unter dem Tisch. Auf solche Szenen kam unweigerlich der Satz: «Jetzt blüht sie wieder.» Und dabei blinzelte Jürgen dem Ober zu.
    Dann standen wir auf der Straße und er gab mir den Geldschein zurück, lachte mich an. «War nur ein Test. Du lernst das schon noch irgendwann.»
    Gegensätze ziehen sich an, heißt es. Gegensätzlicher als wir konnten zwei Menschen kaum sein. Ich bewunderte ihn als Arzt,doch im privaten Bereich hatte ich anfangs Schwierigkeiten, mich mit ihm auseinander zu setzen.
    «Das liegt an deiner Erziehung, Röschen», sagte er. «Man hat dir gute Manieren beigebracht, aber Toleranz ist für dich ein Fremdwort. Nur geht es nicht ohne. Und eines darfst du mir glauben: Man macht sich die Menschen nicht gewogen, nur weil man beim Essen keine Bratensoße aufs Tischtuch kleckert. Dafür ist das Waschen gut. Und zuerst sollte man tolerant gegenüber sich selbst sein.»
    Toleranz! Manchmal nannte er es auch Spontaneität. «Warum sollte man ausgerechnet sich selbst jeden Wunsch abschlagen? Wenn ich etwas sehe und es gefällt mir, sorge ich dafür, dass ich es bekomme, auf der Stelle.» Für Jürgen stellte sich nie die Frage: Kann ich mir das leisten? Ein exquisites Essen in einem teuren Restaurant, eine Flasche Wein dazu. Und für den Rest des Monats Brote mit Streichkäse. Man muss flexibel sein.
    Ich war nicht flexibel. Ich fragte zu viel, dachte zu lange nach, rechnete zu gründlich durch, ehe ich eine Entscheidung traf. Für Jürgen gab es keine Fragen, kein Nachdenken, kein Durchrechnen. Wer ihm beigebracht hatte, so zu leben, erklärte er nicht. In den ersten Monaten hörte ich von ihm nicht einmal die Worte «meine Mutter».
    Meine Eltern bestanden darauf, ihn kennen zu lernen. Er kam gerne, genoss die Sonntagnachmittage mit Mutters selbst gebackenen Torten auf blütenweißen Tischtüchern. «Stil ist auch nicht zu verachten», sagte er. Und Vaters Fragen nach seinen Eltern wich er aus. Grete Zardiss! Unverheiratet. Mutter eines Sohnes und einer Tochter, die im Säuglingsalter gestorben war.
    Als wir das Aufgebot bestellten und Jürgen nach seinem Vater gefragt wurde, sagte er knapp: «Unbekannt.» Aber er hatte eine Vermutung, wer sein Vater gewesen war. Das erfuhr ich nach fünfzehn Ehejahren, als er mir beiläufig erklärte: «Der Reuther-Hof steht zum Verkauf. Ich hab’s heute zufällig gehört. Wir sollten am Sonntag rausfahren und ihn uns ansehen.»
    Ich konnte mich nicht auf Anhieb für seine Idee begeistern. Ein Bauernhof, Landleben, ein Kuhdorf, wie er es manchmal nannte. Vielen Dank! Mir gefiel es in der Stadt; eine geräumige Wohnung, hell und modern; ein Schaufensterbummel am Nachmittag. Wenn ich Lust hatte, konnte ich zur Praxis schlendern und mir das Auto holen für eine Fahrt nach Köln und einen Besuch bei meinen Eltern. Das wollte ich nicht aufgeben für einen alten, heruntergekommenen Bauernhof.
    Ich wollte nicht festsitzen zwischen Kühen und Zuckerrüben. Ich wollte mir auch nicht den Kopf zerbrechen müssen über Hypothekenzinsen. Die Erben

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