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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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tränenüberströmt, und nun wirkt sie auf Jesse
tatsächlich wie eine Darstellerin in einem alten 2-D-Film, die
unter der Folter etwas gesteht, das sie überhaupt nicht getan
hat. Dann beugt sie sich vor und küßt ihn auf die Wange,
wobei ihre Tränen auf sein Gesicht laufen, und in diesem
Augenblick kommt der Zug zum Stehen, die Tür öffnet sich,
und weg ist sie.
    Jesses erster Gedanke ist, daß sie diese Ansprache vorher
geprobt haben muß, um ihre exakte Dauer zu ermitteln, so
daß sie direkt nach ihrer Beendigung den Zug verlassen konnte.
So ist Naomi, immer gründlich…
    Er atmet tief durch und merkt plötzlich, daß er heute
nicht die geringste Lust hat, den Kindern aus dem Barrio Nachhilfe in
Mathe zu geben. Er legt den Daumen auf die Sensorplatte und sagt
laut: »Dieses Abteil zurück nach Tucson.«
    »Das macht zwei Dollar und fünf Cent für eine
Fahrtstrecke von dreihundertfünfzig Kilometern beziehungsweise
zweihundertachtzehn Meilen«, erwidert das Abteil. »Bei
einer Einzelperson in einem Zwei-Personen-Abteil wird ein Zuschlag
von fünfundfünfzig Cent wegen des vergeudeten Raums und der
Ressourcen erhoben. Sie können diesen Auftrag stornieren und
gegen Rückerstattung in ein Einzelabteil wechseln, solange der
Zug noch steht. Danke und eine angenehme Reise.«
    Die Tür schließt sich. Jesse beugt sich vor und
drückt das Gesicht in den Sitz, in dem Naomi eben noch gesessen
hatte. Dort liegen zwei ihrer langen Haare, und er fährt mit den
Fingern an ihnen entlang; sie hat nie ein Deo verwendet, aber der
Sitz ist noch warm, und er bildet sich ein, sie darauf riechen zu
können.
    Er bleibt in dem Abteil, als der Zug anfährt, wobei die
Beschleunigung sein Gesicht in die Sitzkissen preßt.
    Wenn ein Benutzer des Deeper- Idioms sich echauffiert,
fängt er an zu nuscheln, aber er beherrscht den Dialekt so gut,
daß er folgendes verstanden hat: obwohl sie ihm den
Laufpaß gegeben hat, liebt sie ihn sehr, glaubt jedoch,
daß er mit ihren Idealen nicht zu vereinbaren sei.
    Das läßt sich korrigieren. Wenn er wieder in Tucson ist
– am besten geht er nicht sofort nach Hause, um ihren
Freundinnen nicht über den Weg zu laufen –, wird er sich
Bildung aneignen und sich aktiv engagieren. Mit ein wenig
Anstrengung, dessen ist er sich gewiß, wird er schon in wenigen
Monaten einer der größten Aktivisten an der U des Az sein.
Er weiß, daß er intelligent ist, eloquent und
fleißig; er muß diese Ressourcen nur zielgerichtet
einsetzen. Wenn sie aus Mexiko zurück ist, wird er sich
völlig verändert haben, wenn es das ist, was sie will. Er
wird vielleicht einige Zeit (aber er kann ja ein paar Vorlesungen
ausfallen lassen) und Geld investieren müssen (aber er kann ja
eine Weile von der Hand in den Mund leben), aber was könnte er
sonst noch tun?
    Er lehnt sich zurück, legt Naomis Haar auf das Knie und
betrachtet es. Er erinnert sich an den gemeinsamen Ausflug in die
Wüste und ihren Ausspruch, er würde ihr zu
überwältigenden Orgasmen verhelfen… und
unwillkürlich kehren auch die Bilder wieder, als er sie wie ein
kleines Kind tröstete und ihre großen Brüste beim
Weinen wippten. Ehe er sich dessen noch versieht, ist er so geil,
daß sein Penis die Jeans ausbeult, und er holt ihn raus und
masturbiert ungeniert im Abteil, wie schmutzige alte Männer es
angeblich tun, und es ist ihm ganz egal, denn erst wenn er diesen
Druck los ist, kann er wieder einen klaren Gedanken fassen.
    Er kommt schnell, in einer brutalen Aufwallung, als ob die Hoden
sich übergeben würden. Er stopft rasch das ejakulierende
Glied in die Hose und starrt dabei ihr Haar auf dem Knie an. Die
Klimaanlage scheint auf seinen Ausbruch zu reagieren, denn es kommt
ihm plötzlich schrecklich kalt hier im Abteil vor, und irgendwie
verstärkt das den Geruch seines Samens und die Einsamkeit des
kleinen Raumes. Er drückt den Kopf auf das Polster, wo ihr
schöner Hintern sich vor wenigen Minuten noch befunden hatte,
aber jetzt ist der Sitz kalt.
    Er ist noch nie so verliebt gewesen.
    Nach einer Weile erweist sich der in seiner Unterhose trocknende
Samen als ziemlich effektiver Klebstoff, der Sitz, in den er den Kopf
drückt, ist reichlich unbequem, die tränenden Augen
schmerzen, und er glaubt nicht, daß er das noch viel
länger aushalten kann. Er kann sich hier mit rein gar nichts
beschäftigen, während der vierzig Minuten zurück nach
Tucson.
    Er zieht den Reißverschluß seiner Hose zu, holt seinen
Reiseproviant hervor und genehmigt sich

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