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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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wäre, die
XV-Benutzer würden sie von dir erhalten.« Er setzt sich
auf. Ein Assistent tritt ein und überreicht ihm die kleine
Tasche mit seinen Kleidern und sonstigen Utensilien. »Und ich
habe bei dir das Gefühl, daß du auch noch andere
Interessen hast, was ich bei anderen meistens nicht habe. Ich mag
dich.«
    »Ich mag dich auch«, sagt Synthi. »Und ich werde
ganz sicher zurückkommen.« Sie holt ein Präparat zum
Abschminken aus ihrer Tasche und verschmiert es auf dem Gesicht, und
das ganze Zeug, falsche Wimpern und so weiter, verwandelt sich in
eine dünnflüssige Substanz, die sie mit Wasser und Seife
entfernt. »Ach, Rock…« Sie schüttelt das Wasser
ab und rubbelt sich mit einem Handtuch das Gesicht ab. »Mein
wirklicher Name lautet übrigens Mary Ann Waterhouse.«
    »Und ich heiße David Ali«, gesteht er und
lächelt sie an. »Jetzt bist du auf dich allein
gestellt.« Er kritzelt etwas auf ein Blatt Papier und gibt es
ihr. »Meine Telefonnummer. Wenn du einfach mal reden willst oder
so. Aber ich rate dir, das Geschäft einmal zu vergessen und eine
Zeitlang wieder Mary Ann zu sein – der Name ist nämlich
viel schöner als Synthi.«
    Sie nickt. »Ich habe dem Reisebüro gesagt, daß ich
einen Ort suche, an dem absolut nichts los ist. Ich werde nicht
einmal ein tragbares XV-Gerät mitnehmen; ich werde einfach wie
eine ganz normale Person durch die Stadt gehen.« Sie zieht den
Büstenhalter mit speziellen Einlagen an, damit ihre durch die
Implantate zu groß und schwer gewordenen Brüste nicht
umherwabbeln und sie verletzen, wenn sie sich bewegt. Das
Bewußtsein, daß sie für mindestens ein Vierteljahr
nicht in einem winzigen Fummel herumlaufen muß, der ihr in
Brust, Schultern und Rücken Schmerzen verursacht, ist sehr
angenehm.
    Über den bequemen Büstenhalter zieht sie den weiten,
sackartigen Pullover, dann bindet sie das feuerrote Haar zu einer
Bandana, und nun wirkt sie wie eine leicht übergewichtige junge
Hausfrau, wobei dieser Eindruck sich noch verstärkt, als sie den
Pullover über den Po zieht, der zu festen Halbkugeln modelliert
wurde. Als erstes muß sie sich ein paar weite Blusen
besorgen… es werden großartige Monate sein, wenn die
Männer glauben, daß sie im Grunde ganz hübsch
wäre, wenn sie sich nur nicht so gehen ließe.
    Als sie sich wieder Rock zuwendet, muß sie beinahe lachen;
sie hat ihn noch nie zu Gesicht bekommen, wenn er sich von seinem alter ego löst, aber als sie beschlossen hatte, ihre
virtuelle Persönlichkeit am Ende jeder Aufnahme abzulegen, sagte
er, daß er das auch tun müßte. »Zeigst du mir
deins, zeige ich dir meins«, sagte er. »Bist du denn nie
mit dem Nachbarsjungen in den Keller geschlichen, um es
herauszufinden?«
    Jetzt sieht er aus… nun, es gibt einfach keine andere
Bezeichnung dafür: Er wirkt unglaublich schwul. Der klassische
Nadelstreifenanzug mit dem schmalen Revers, die Weste und das offene
Jacket könnten direkt aus einer Schwulenbar in Manhattan
stammen; die breite Krawatte mit dem aufgedruckten NFL-Logo gilt
gemeinhin als Chiffre für ›Spaß ja, aber nichts
Ernsthaftes‹. Selbst das Handy am Gürtel weist ein
hoffnungsloses Retrodesign auf und ist dem Autotelefon eines
Geschäftsmanns aus den achtziger Jahren des zwanzigsten
Jahrhunderts nachempfunden.
    Er winkt ihr zu. »Wie sitzt die Krawatte? Und die
eierquetschende Alibi-Unterwäsche, die ich anhabe, hast du nicht
gesehen, klar? Spitzenhöschen, Baby. Manchmal wünsche ich
mir, Harry würde nicht von mir verlangen, daß ich mich wie
eine Bartunte aufdonnere.«
    Und dann muß Mary Ann doch lachen, und sie umarmt ihn
zärtlich. »Du siehst gut aus.«
    »Ja, sicher, wenn einem die Mode egal ist, Schatz«, sagt
Rock. »Aber wer sich dafür interessiert, weiß,
daß ich ein ganzes Jahr hinter dem Trend liege.« Er
drückt sie für eine Sekunde an sich und sagt: »Sieh
dich nur vor bei all diesen Spießern, hörst du? Tu nichts,
wenn du nicht glaubst, daß es ein höllischer Spaß
ist. Du hast es dir verdient.« Er küßt sie auf die
Stirn. »Jetzt hau ab; Daddy muß sich für seinen
Liebhaber zurechtmachen.«
    »Wenn ich zurückkomme«, sagt Mary Ann, »werden
David und Mary Ann ein Bier oder einen Kaffee trinken
gehen.«
    »Richtig«, meint David. »Dann reden wir über
Männer und warum es unmöglich ist, eine gute Beziehung zu
ihnen aufzubauen. Jetzt geh und suche dir jemanden, der dir dein
kleines Herz bricht.«
    Während sie den Korridor entlanggeht, freut sie sich wie

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